Notenbanker warnen vor Euphorie

Powell: Trotz Aussicht auf Coronaimpfstoff stehen schwere Monate bevor - Lagarde: Digitaler Euro kommt

Notenbanker warnen vor Euphorie

Zum Abschluss des zweitägigen Sintra-Forums der EZB haben drei der führenden Notenbanker weltweit die aktuelle Lage analysiert und einen Blick in die Zukunft geworfen. Ihre Hauptsorge gilt der Coronakrise – trotz aller Impfstoff-Hoffnung. Beim Thema digitales Zentralbankgeld scheiden sich die Geister.ms Frankfurt – Die Aussicht auf einen Coronaimpfstoff lässt die weltweit wichtigsten Notenbanker etwas zuversichtlicher in die Zukunft schauen – zugleich warnen sie aber unisono vor allzu großer Euphorie. US-Notenbankchef Jerome Powell sagte gestern zum Abschluss des diesjährigen virtuellen Sintra-Forums der EZB, dass das Vorhandensein eines Impfstoffs auf mittlere Sicht eine gute Nachricht sei. Die nächsten Monate könnten dennoch herausfordernd werden. Der US-Kongress und die Notenbank müssten wahrscheinlich mehr tun. Ähnlich äußerten sich bei dem gleichen Panel EZB-Präsidentin Christine Lagarde und der Chef der Bank of England, Andrew Bailey. Geldpolitische LockerungenMit ihren Aussagen stimmen die Top-Notenbanker trotz der Hoffnung auf einen Impfstoff auf auch wirtschaftlich weiter schwere Monate ein und schüren damit zugleich Erwartungen, dass die bereits beispiellos expansive Geldpolitik weltweit absehbar weiter gelockert wird. EZB-Präsidentin Lagarde hatte bereits am Mittwoch zum Auftakt des Forums vor überzogenen Erwartungen in Sachen Impfstoff gewarnt und die Absicht des EZB-Rats zur Lockerung untermauert (vgl. BZ vom 12. November). Dieser Position schloss sich gestern auch Powell an. Auch Bailey mahnte zur Vorsicht. Die Bank of England hatte aber bereits vergangene Woche ihre Politik gelockert.”Wir sehen die Wirtschaft weiterhin auf einem soliden Erholungspfad, aber das Hauptrisiko, das wir sehen, ist eindeutig die weitere Ausbreitung der Krankheit hier in den Vereinigten Staaten”, sagte Powell gestern. “Da sich das Virus jetzt ausbreitet, könnten die nächsten Monate eine Herausforderung sein.” Die wirtschaftliche Erholung sei in den USA bisher stärker als erwartet ausgefallen. Allerdings bleibe sie holprig und unvollständig.Powell sagte zudem, es sei noch zu früh, um die möglichen Auswirkungen der Impfstoff-Entwicklung auf die US-Wirtschaft abzuschätzen. Die Fed hatte ihre Geldpolitik vergangene Woche unverändert gelassen, aber für Dezember eine Lockerung in Aussicht gestellt. Der US-Kongress ringt zudem auch nach der US-Präsidentschaftswahl um ein zweites Konjunkturpaket.Lagarde sagte gestern, es sorge für etwas weniger Unsicherheit, dass ein Impfstoff angekündigt worden sei, der womöglich zu 90 % wirksam sei und wahrscheinlich Anfang 2021 die Genehmigung erhalte. “Von einem riesigen Fluss der Unsicherheit aus können wir jetzt das andere Ufer sehen”, sagte Lagarde. Es gebe aber keinen Grund, “überschwänglich” zu werden. Es gebe immer noch Unsicherheit, was die Logistik für die Auslieferung eines Impfstoffs betreffe. Das Gleiche gelte hinsichtlich der Produktion und der Anzahl der Menschen, die im Verlauf des nächsten Jahres geimpft werden könnten. Wichtig sei deshalb, dass die Geldpolitik und die Fiskalpolitik die Wirtschaft weiter unterstützten.Zum Abschluss der Paneldiskussion bezeichnete sie es als eine ihrer größten Sorgen, dass es rasch zu Mutationen des Coronavirus komme. Sie bezog sich dabei auf die aufsehenerregende Lage der Nerze in Dänemark. Die hatte am Mittwoch auch die EU-Gesundheitsbehörde ECDC zum Anlass genommen, vor der Verbreitung von Coronavirus-Varianten bei den Pelztieren zu warnen.Alle drei Notenbanker zeigten sich zudem besorgt darüber, dass die Krise umso schwerere dauerhafte Schäden anrichten könne, je länger sie andauere. Sie verwiesen darauf, dass die Krise unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft unterschiedlich hart treffe. So seien es vor allem die Frauen und die jungen Menschen, die besonders litten. Powell sagte zudem, dass in den USA diejenigen mit niedrigen Einkommen stärker betroffen seien als diejenigen mit höheren Einkommen. Einige Kritiker werfen den Zentralbanken vor, mit ihren Maßnahmen und speziell den Wertpapierkäufen Reiche zu bevorteilen und damit die soziale Ungleichheit noch zu verstärken. Digitales ZentralbankgeldLeicht unterschiedliche Ansichten brachten die drei Notenbanker beim Thema digitales Zentralbankgeld zum Ausdruck. Lagarde machte klar, dass es absehbar einen digitalen Euro geben werde. Zwar müsse das der EZB-Rat entscheiden. Sie sagte aber auch: “Meine Vermutung ist, dass das kommt.” Das werde dann aber eher in zwei, drei, vier Jahren so weit sein. Powell dagegen klang vorsichtiger. Die Fed analysiere das Thema zwar intensiv. Sie gehe aber mit “großer Sorgfalt” vor, zumal der Dollar die Weltleitwährung sei. “Es ist wichtiger, es richtig zu machen, als der Erste zu sein”, sagte Powell. Bailey betonte, es müssten insbesondere die Folgen für die Finanzstabilität beachtet werden – in normalen Zeiten, aber auch in Stressphasen.