Notiert inRom

Nicht immer Dolce Vita

Rom hat schon immer Reisende aus aller Welt angezogen. Heute ist der Massentourismus unerträglich geworden. Und das Alltagsleben in der Stadt hat oft nicht viel zu tun mit dem viel beschworenen Dolce Vita. Dennoch würde kaum ein Römer seine Heimatstadt verlassen wollen.

Nicht immer Dolce Vita

Notiert in Rom

Nicht immer Dolce Vita

Italiens Hauptstadt Rom zieht viele in ihren Bann. Und obwohl das Alltagsleben oft unerträglich ist, wollen nur wenige Römer die Stadt verlassen

bl Mailand
Von Gerhard Bläske

Rom ist mit seinem unerschöpflichen kulturellen Erbe sicher eine der faszinierendsten Hauptstädte dieser Welt. Kein Zufall, dass es sogar Emily, die Amerikanerin aus der Netflix-Serie „Emily in Paris“, jetzt dorthin verschlagen hat. An jeder Ecke sind Spuren aus der reichen Vergangenheit zu sehen. Auch die Lebensart und das gastronomische Angebot sind angenehm.

Sogar in Tiefgaragen von Privathäusern sind, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, oft Mauerreste, Mosaiken, Vasen oder Büsten zu sehen. Manchmal sind sie durch Glasscheiben geschützt. Und manchmal landen sie auch in Privatwohnungen. Es gibt ja so viele Fundstücke.

Sehnsuchtsort Europas

Rom ist ein Traumort für viele Mittel- und Nordeuropäer. Für adlige Engländer und Dichter wie Keats und Shelley gehörte ein Aufenthalt dort zum Muss. Aber auch deutsche Künstler und Gelehrte wie Winckelmann, Goethe und Thomas Mann logierten hier zeitweise. Im 18. und 19. Jahrhundert lebten zeitweise um die 2.000 deutsche Künstler und Möchtegern-Künstler in Rom und in der ländlichen Umgebung. Viele von ihnen kehrten nie zurück. Davon zeugt etwa der „Cimetiero Acattolico“, der Friedhof für die Nichtkatholischen, die hier starben. Goethe-Sohn August und der Erbauer der Dresdner-Oper Gottfried Semper haben hier ihre letzte Ruhe gefunden.

Durch Filme wie „La Dolce Vita“ oder „Vacanze Romane“ ist Italiens Hauptstadt zum Symbol des süßen Lebens geworden. Das wirkt bis heute nach. Selbst in der Nachsaison ist kaum ein Zimmer oder eine Wohnung zu einem vernünftigen Preis zu bekommen.

Im „Heiligen Jahr“ 2025 werden bis zu 35 Millionen Pilger erwartet. Überall gibt es Baustellen. Einheimische befürchten das totale Chaos.

Leben im Provisorium

Dabei ist schon das „normale“ Leben mehr als schwierig. In den Sommermonaten Juli und August machen es Temperaturen jenseits der 40 Grad unerträglich. Regelmäßige Streiks etwa bei der Müllabfuhr, die die Abfallberge in den Straßen zur Freude von Ratten und Tauben zu ansehnlichen Höhen wachsen lassen, sorgen für Ärger und Gestank. Immer wieder werden U-Bahn-Stationen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Stromausfälle, die viele Stunden dauern können, sind keine Seltenheit. Häufig sorgen unvermutet ausbrechende Brände auf Müllhalden oder Industriebrachen tagelang für schlechte Luft – von möglichen Giften im Rauch gar nicht zu sprechen. Dazu kommt der normale Wahnsinn: Wer etwa zu einer Behörde muss, sollte sich mindestens einen Tag freinehmen. Häufig muss der Ansuchende trotzdem unverrichteter Dinge abziehen.

Selbst in bevorzugten Wohngebieten wie auf dem Aventin kann auch mal eine Straße einbrechen. Dann wird sie notdürftig geflickt und sicherheitshalber provisorisch geschlossen. Solche Provisorien können Jahrzehnte dauern.

Für Martin Luther war Rom Sitz des Teufels. Die Römer schimpfen zwar über ihre Stadt, wollen aber nirgendwo anders leben. Spätestens beim Aperitivo ist alles vergessen.

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