Ökonomen erwarten rasche Erholung nach coronabedingter Rezession

Prognosen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Dauer der Einschränkungen und der Wiederherstellung der Lieferketten

Ökonomen erwarten rasche Erholung nach coronabedingter Rezession

Von Alexandra Baude, FrankfurtDie Corona-Pandemie stellt die Gesellschaft und die globale Wirtschaft vor nie gekannte Herausforderungen. Dass sich die Wirtschaft von dem gleichzeitigen Angebots- und Nachfrageschock erholt, ist aber Konsens unter den Ökonomen. Weltweit ist die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zahlreicher Branchen ebenso eingebrochen wie das Angebot infolge von Produktionsausfällen und gestörter Lieferketten. Ebenso einig sind sich die Experten, dass eine zu schnelle Aufhebung der strikten Schutzmaßnahmen die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen lassen könnte und der erneut nötige Stillstand des öffentlichen Lebens noch länger dauern und die Wirtschaft noch stärker treffen würde.Eine klare Kommunikation, der Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überforderung, die Erhaltung der Kapazitäten und die Stabilisierung der Einkommen steht bei allen Experten im Vordergrund der Überlegungen. Wurden die Effekte der Corona-Pandemie zunächst mit den Folgen des Ausbruchs von Sars (Severe Acute Respiratory Syndrome) oder der Vogelgrippe verglichen, so ist nun klar, dass der Weltwirtschaft die tiefste Rezession seit der Großen Depression in den 1930er Jahren bevorsteht, wie der IWF zu Wochenbeginn warnte.Deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und den Staatsfinanzen wird die schwerwiegende coronabedingte Rezession hierzulande hinterlassen, mahnen etwa die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten. Allerdings bringe Deutschland gute Voraussetzungen mit, den wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften und mittelfristig wieder ein Niveau zu erreichen, das sich ohne die Krise ergeben hätte.Eine genaue Berechnung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist wegen der schwierigen Datenlage und der außergewöhnlichen Situation nicht möglich, so dass sich Ökonomen bei ihren Einschätzungen oftmals mit dem Entwurf diverser Szenarien behelfen, bei denen insbesondere die Länge des Lockdowns, die Dauer, bis die Lieferketten wieder funktionierten, und die Geschwindigkeit der Erholung im Fokus stehen.Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung etwa hat drei Szenarien berechnet. Normalisiert sich die wirtschaftliche Lage über den Sommer, schrumpft das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 um 2,8 % und klettert infolge Nachholeffekten und einem hohen statistischen Überhang um 3,7 %. In einem Risikoszenario, das einem ausgeprägten V entspricht, führen großflächige Produktionsstilllegungen oder länger als derzeit geplant anhaltende einschränkende Maßnahmen zunächst zu einem Rückgang des BIP um 5,4 %, 2021 dann zu einem Wachstum von 4,9 %. In der Variante “langes U” könnten über den Sommer hinaus andauernde Maßnahmen die wirtschaftliche Erholung verzögern – dies würde für 2020 ein BIP-Minus von 4,5 % bedeuten, gefolgt von einem Plus von 1,0 % im Jahr 2021. Ein Punkt weniger pro MonatDas Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung schätzt, dass jeder Monat, den die Kontakteinschränkungen unverändert fortgesetzt werden, etwa 1 Punkt Wachstum kostet – zusätzlich zu den 4 % BIP-Minus, die das IMK für 2020 erwartet. Für das bessere Verständnis der wirtschaftlichen Auswirkungen untergliedert das IMK in einer aktuellen Studie das Geschehen in drei Phasen: In der ersten Phase geht es um die Folgen des Produktionseinbruchs im Februar und März in China, dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Getroffen durch Engpässe bei Vorprodukten wurden zunächst die Automobil-, die Maschinenbau-, die Chemie- und die Elektronikindustrie, die für 12 % der Wertschöpfung hierzulande stehen. Die Wirtschaftsweisen beziffern den Anteil der Vorleistungen am Produktionswert im Durchschnitt über alle Wirtschaftsbereiche hinweg auf rund 51 % – im verarbeitenden Gewerbe sind das durchschnittlich 65 %, im Dienstleistungsbereich im Schnitt 45 %. Dabei werden insgesamt rund 24 % der Vorleistungen importiert, wobei der Anteil mit 37 % im verarbeitenden Gewerbe besonders hoch ist – und der dämpfende Effekt gestörter Lieferketten dementsprechend schwer wiegt.In der zweiten Phase wurden von dem Lockdown seit Mitte März die Bereiche Handel, Gastgewerbe und Verkehr (16,2 % der Bruttowertschöpfung) getroffen, so das IMK. Für den gesamten Bereich erwartet das Institut einen Rückgang um durchschnittlich mehr als 10 % in diesem Jahr. Der überwiegende Teil des zu erwarteten Einbruchs beim BIP 2020 allerdings resultiert aus den Schwierigkeiten im verarbeitenden Gewerbe. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Italien und Spanien ist dem verarbeitenden Gewerbe (24,2 % der Bruttowertschöpfung) und dem Bau (5,6 %) nicht allgemein der Betrieb untersagt, es müssen aber hinreichende Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten getroffen werden. Dem verarbeitenden Gewerbe ohne Bau prognostiziert das IMK wegen des Nachfragerückgangs sowie Störungen in den grenzüberschreitenden Lieferketten ein Minus von rund 12 % im laufenden Jahr. Der Bau hingegen dürfte bei weiter guter Auftragslage zulegen. Die öffentlichen Dienstleister (18,8 %), zu denen auch die meisten Krankenhäuser gehören, verzeichnen dem IMK zufolge eine steigende Aktivität. Die jetzt einsetzende Phase 3 ist durch den globalen Wirtschaftseinbruch gekennzeichnet, der für die stark exportabhängige deutsche Wirtschaft einen Rückgang der Produktion, der Investitionstätigkeit und in der Folge eine Schwächung des Konsums bedeute.