NACH DEM ERSTEN WAHLGANG IN FRANKREICH

Ökonomen zweifeln an Macrons Reformkraft

Konfliktpotenzial mit Berlin - Politische Risiken

Ökonomen zweifeln an Macrons Reformkraft

jw Frankfurt – Ökonomen blicken nach dem Erfolg von Emmanuel Macron in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen überwiegend positiv auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs und der Eurozone. Die Mehrheit erwartet bei der Stichwahl am 7. Mai einen Sieg des jungen Sozialliberalen und sieht somit die Weichen für eine stärkere französische Reformpolitik, mehr europäische Integration und ein Fortschreiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Eurozone gestellt. Die Experten sind sich jedoch auch einig: Egal wer am 7. Mai neuer Präsident wird, ihn erwartet ein politisch tief gespaltenes Land und höchstwahrscheinlich eine Regierung ohne parlamentarische Mehrheit, was die Durchsetzung von Reformen erschweren könnte. “Wende zum Besseren”DIW-Präsident Marcel Fratzscher sieht in dem gestrigen Wahlergebnis ein “vielversprechendes Zeichen für Deutschland und Europa. Mit Emmanuel Macron steht der führende Kandidat für Wirtschaftsreformen und ein starkes Europa.” Auch der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht Frankreichs Wirtschaftspolitik unter Macron auf dem Weg zu einer “Wende zum Besseren”. Er wolle den Staatssektor verkleinern und bessere Bedingungen für Investitionen und Beschäftigungen erreichen, so Fuest. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt von der VP Bank, lobt Macrons wirtschaftsliberale Elemente und Unterstützung für Menschen mit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. “Möglicherweise kann Macron mit dieser Politik tatsächlich der streikfreudigen französischen Bevölkerung einen neuen wirtschaftspolitischen Kurs schmackhaft machen”, meint Gitzel. Nicht nur Lob für MacronTrotz allgemeiner Erleichterung warnen einige Ökonomen aber auch vor zu viel “Macron-Optimismus”. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, findet, Macron sei “kein echter Reformer”. Er scheue vor tiefgreifenden Reformen am Arbeitsmarkt zurück (Macron will beispielsweise die 35-Stunden-Woche sowie den vergleichsweise sehr hohen Mindestlohn nicht abschaffen) und seine Pläne zur Haushaltskonsolidierung seien vage. Auch Clemens Fuest warnt: “Die Vorstellung, dass Macron an die Macht kommt und es dann leichter möglich wird, die erheblichen Probleme anzugehen – das ist für mich überhaupt nicht sichergestellt.” Macron habe kein klares Reformmandat. Besonders ohne eine Mehrheit im Parlament sei es schwierig, Reformen überhaupt durchzusetzen.Andere Ökonomen geben sich optimistischer und ziehen den Vergleich zu Gerhard Schröder heran, der 2003 seine “Agenda 2010” ebenfalls mit der CDU in der Opposition abstimmen musste, um sie durch den Bundestag zu bekommen. Die Berenberg Bank argumentiert, allein um nicht noch mehr hinter Deutschland zurückzufallen, aber auch weil die Konservativen nicht die Last, sondern den Gewinn der Reformen 2022 tragen könnten, würden sie den Reformplänen Macrons schon zustimmen.Die Bank of America Merill Lynch argumentiert, dass aufgrund des Ausscheidens von François Fillon schnelle Struktur-und Fiskalmarktreformen erstmal zurückgestellt seien. Es würde nun zwischen einer vorsichtigen Fiskalpolitik von Macron und einer sehr lockeren von Le Pen sowie einer langsamen Arbeitsmarktreform und einer Status-quo Arbeitsmarktreform entschieden werden. “Die Pläne von Macron könnten am Ende zu kurz greifen, um Frankreich auch wirtschaftlich nach vorne zu bringen”, zeigt sich Stefan Bielmeier von der DZ Bank skeptisch. Europa im FokusAllerdings stünde nicht nur der Reformwille der Kandidaten im Fokus, sondern vor allem deren Bedeutung für den Fortbestand der europäischen Wirtschafts-und Währungsunion. Marine Le Pens “Frexit”-Kampagne hinderte sie laut Merrill Lynch daran, ihre Umfragewerte in den letzten Wochen auf einen höheren Stand zu bringen. Selbst wenn Le Pen gewinnen sollte, ist sich die Berenberg Bank sicher, würde ihr Plan, Frankreich aus dem Euro zu nehmen, kaum durchsetzbar sein. So müsste sie erst eine parlamentarische Mehrheit erreichen und dann ein Referendum über den “Frexit” gewinnen.Die Ökonomen setzen auf eine deutsch-französische Allianz unter Macron, um die Eurozone zu vertiefen und institutionelle Änderungen voranzutreiben. Marcel Fratzscher ruft die Bundesregierung schon jetzt dazu auf, sehr bald nach der zweiten Wahlrunde mit dem neuen französischen Präsidenten einen konkreten Plan zur Reform der EU und der Beendigung der europäischen Wirtschaftskrise vorzulegen. Allerdings müsse man sich mit Macron auch auf einen starken und kritischen Partner auf Augenhöhe einstellen. Dass dieser unter anderem bei den Themen Eurobonds und Eurozonen-Parlament mit gemeinsamem Haushalt anderer Meinung als die Bundesregierung ist, könnte den Ökonomen zufolge zu Konflikten führen.