REGIERUNGSBILDUNG IN BERLIN PLATZT

Ökonomischer Schaden eher gering

Volkswirte: Minderheitsregierung kein Schreckgespenst

Ökonomischer Schaden eher gering

Von Stephan Lorz, FrankfurtNach Ansicht von Ökonomen wird die deutsche Wirtschaft vom Scheitern der Jamaika-Gespräche vorerst nicht ausgebremst. “Angefacht durch die lockere EZB-Geldpolitik besitzt sie so viel Schwung, dass sich die zahlreichen, politisch zu lösenden Probleme Deutschlands vorerst nicht bemerkbar machen werden”, schreibt etwa Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Und auch Holger Sandte, Chefvolkswirt der Nordea Bank, erwartet angesichts der guten Konjunktur allenfalls einen geringen ökonomischen Schaden.Längerfristig indes könnte die dann aufkommende politische Verunsicherung ihre Spuren hinterlassen, warnt die Chefvolkswirtin der Helaba, Gertrud Traud. Unternehmen könnten sich wegen der unsicheren Verhältnisse mit Investitionen zurückhalten. Denn ihnen fehle es an Planungssicherheit. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, Achim Wambach, verweist exemplarisch auf die Energiepolitik. Es sei eine Chance vertan worden “auf die CO2-Preise und eine koordinierte europäische Klimapolitik hinzuwirken”.Auch im Hinblick auf die Europapolitik sehen die Ökonomen Berlin geschwächt – gerade in einer Zeit, in der wichtige Entscheidungen anstehen. Europa sei nun um eine Illusion ärmer, kommentierte ING-DiBa-Chefökonom Carsten Brzeski: “Deutschland ist nicht länger das Vorbild politischer Stabilität.” Bundeskanzlerin Angela Merkel werde “an Durchschlagskraft verlieren”, mutmaßt auch Traud und spricht von einer “Belastung für Europa”. “Hätte nie funktioniert”Grundsätzlich zeigen sich die Ökonomen im Hinblick auf eine mögliche Minderheitsregierung aber entspannt. Ifo-Präsident Clemens Fuest zeigt sich hoffnungsvoll: “Die Chance besteht darin, dass die Rolle des Parlaments gestärkt wird und über einzelne politische Entscheidungen ausführlicher und offener diskutiert wird. Die skandinavischen Länder und Kanada haben mit Minderheitsregierungen oft gute Erfahrungen gemacht”, schreibt er.Beim Statement des Chefs der Wirtschaftsweisen, Christoph M. Schmidt, schwingt sogar eine gewisse Erleichterung mit: “Ein Bündnis, deren Partner sich in den kommenden Jahren vor allem gegenseitig blockieren würden, wäre wohl noch schlechter als eine schleppende Regierungsbildung.” Jamaika hätte “nie funktioniert”, ist sich auch Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, sicher und votiert für eine “kreative Minderheitsregierung”.”Nehmen wir zur Kenntnis”, twittert Gustav A. Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans Böckler Stiftung, “die politischen Verhältnisse in Deutschland sind nicht mehr stabil.” Eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten immer wieder suchen muss, wäre “nicht das Schlimmste”.DIW-Präsident Marcel Fratzscher will die Parteien aber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Die Jamaika-Parteien müssten einen neuen Anlauf machen, fordert er, weil ihnen Neuwahlen ohnehin keinen Erfolg versprechen würden. Deutschland brauche eine handlungsfähige Regierung mit klaren Zielen und Visionen.