Osbornes Schoßhund schlägt Alarm

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 15.7.2017 Der britische Schatzkanzler Philip Hammond hat Schützenhilfe für seine Sparpolitik von den unabhängigen Haushaltswächtern des Vereinigten Königreichs bekommen. Die hat er bitter nötig, nicht nur...

Osbornes Schoßhund schlägt Alarm

Von Andreas Hippin, LondonDer britische Schatzkanzler Philip Hammond hat Schützenhilfe für seine Sparpolitik von den unabhängigen Haushaltswächtern des Vereinigten Königreichs bekommen. Die hat er bitter nötig, nicht nur weil Labour aus den Wahlen im Juni hervorging wie Phoenix aus der Asche. Angesichts des zunehmenden Preisauftriebs hatte auch sein Parteifreund Boris Johnson eine stärkere Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Dienst gefordert. Und so kam Hammond die erste umfassende Analyse der Risiken für die öffentlichen Finanzen durch das Office for Budget Responsibility (OBR) wie gerufen. Es unterzog sie dem gleichen “Stresstest”, den die Bank of England dieses Jahr den Banken auferlegt, und produzierte dabei große Mengen von Daten aller Art. Finanzkrisen und Rezessionen seien auf Sicht von 50 Jahren nahezu unvermeidbar, heißt es in der Übersicht dazu. “In günstigeren Zeiten müssen die öffentlichen Finanzen deshalb vorsichtig verwaltet werden, um sicherzustellen, dass sie keine unhaltbare Richtung einschlagen, wenn sich solche Schocks herauskristallisieren.” Solange die Sonne scheint”Das Dach reparieren, solange die Sonne scheint”, so knackig formulierte das einst Hammonds Vorgänger George Osborne, der das OBR vor sieben Jahren einrichten ließ, um auch nach Ende seiner Amtszeit die Rückkehr zu einer spendierfreudigeren Ausgabenpolitik so schwer wie möglich zu machen. Die ebenfalls von ihm durchgesetzte Schuldenbremse tut ein Übriges. Osborne hat das Dach aber nicht repariert, solange er konnte, sondern die wirklich schmerzhaften Einschnitte so lange hinausgeschoben, bis sie zum Problem seines Nachfolger wurden. Nun machen sich bereits die ersten negativen Auswirkungen der Entscheidung für den EU-Austritt bemerkbar. Hammond muss sich mit wachsendem Unmut darüber auseinandersetzen, dass Sozialleistungen nicht mehr an die Teuerungsrate angepasst werden, die wegen der Abwertung des Pfunds nach oben schoss. Er müsste eine Menge streichen, Steuervorteile für Geringverdiener etwa, um den – mittelfristig weiter angestrebten – ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.”Wenn das Bruttoinlandsprodukt und die staatlichen Einnahmen in den kommenden 50 Jahren bei gleichbleibendem Wachstum der Ausgaben nur um 0,1 Prozentpunkte weniger stark wachsen als erwartet, wäre das Verhältnis von Schulden und Bruttoinlandsprodukt am Ende um 50 Prozentpunkte höher”, heißt es in dem 313 Seiten starken Bericht. Das Zitat offenbart den Tunnelblick der Ökonomen: Nur in völlig praxisfernen Modellrechnungen steigen die staatlichen Einnahmen in einem halben Jahrhundert um 0,1 Prozentpunkte weniger als gedacht. Die Annahme im Stressszenario, dass die Bank of England den Leitzins binnen eines Jahres auf 4 % erhöhen müsste, um der Inflation entgegenzuwirken, wirkt angesichts der in der wirklichen Welt schrumpfenden Arbeitseinkommen auch eher unrealistisch.Mit den unmittelbaren Bedrohungen setzen sich die Verfasser dagegen nur am Rande auseinander. Die Kosten des EU-Austritts stellen aus ihrer Sicht “keine große Bedrohung für die fiskalpolitische Nachhaltigkeit” dar. Warum? Ganz einfach, es ist ja nur eine einmalige Belastung. Wer in Zeiträumen von 50 Jahren denkt, hat dafür nur ein Schulterzucken übrig. “Böse Überraschungen”Auf seine Aufseher kann sich Hammond verlassen. Der vermeintliche Wachhund ist eher ein Schoßhund. Das OBR warnt eindringlich vor Sparmüdigkeit und “bösen finanziellen Überraschungen” – ganz wie der Schatzkanzler, der nach dem EU-Referendum eigentlich deutliche Steuersenkungen und umfangreiche Investitionen hätte ankündigen müssen, um die Konjunktur anzukurbeln. Stattdessen bestätigte “Spreadsheet Phil” das Image des Erbsenzählers, der verzagt auf die Staatsverschuldung schielt. Der Austritt aus der Staatengemeinschaft ist ein enormes Wagnis für das Vereinigte Königreich, ein radikaler Neuanfang, der tiefgreifendste Umbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Dafür braucht man mehr als einen Rechenschieber. ——–Schatzkanzler Philip Hammond kann sich auf seine unabhängigen Aufseher verlassen.——-