UNTERM STRICH

Ostern ohne alte Hasen

Börsen-Zeitung, 6.1.2018 Die letzten Schoko-Weihnachtsmänner sind aus den Einzelhandelsregalen geräumt, es wird Platz gemacht für Osterhasen und Zuckereier. Es ostert - selbst wenn bis dahin noch fast drei Monate ins Land gehen - auch in der...

Ostern ohne alte Hasen

Die letzten Schoko-Weihnachtsmänner sind aus den Einzelhandelsregalen geräumt, es wird Platz gemacht für Osterhasen und Zuckereier. Es ostert – selbst wenn bis dahin noch fast drei Monate ins Land gehen – auch in der Politik. Nach der traditionellen Jahresauftaktfolklore der CSU im Kloster Seeon und der FDP beim Dreikönigstreffen in Stuttgart soll es nun ernsthafter werden mit dem Regieren beziehungsweise im Bemühen zum Versuch dazu. Während die Liberalen aus Angst vor der eigenen Courage bald das Weite gesucht hatten und lieber zuschauen wollen, wie das Land falsch regiert wird, haben die Verhandlungsführer in den jetzt erneut beginnenden Sondierungsgesprächen von ihren schwarzen und roten Wunschzetteln für den Osterhasen schon verraten: Bis zum Fest der Auferstehung soll auch die Groko zu neuem Leben erweckt werden – wenn denn überhaupt. Mehrheit gegen GrokoWas für die einen Verheißung bedeutet, verbinden immer mehr Bundesbürger allerdings mit Martyrium. Nach dem am Donnerstag veröffentlichten ARD-Deutschlandtrend finden inzwischen mehr als die Hälfte der Deutschen, nämlich 52 %, eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD “weniger gut” oder gar “schlecht”. Das sind 17 Prozentpunkte mehr als noch Mitte Dezember, als der eine große Wahlverlierer nach dem SPD-Parteitag aus der Schmollecke kam und dem anderen großen Wahlverlierer signalisierte, dass das gemeinsame Gefühl, vom Wähler irgendwie ungerecht behandelt worden zu sein, vielleicht doch die Basis für eine gemeinsame Regierungszukunft sein könnte. Zwei Verlierer, Pardon liebe CSU, drei Verlierer, ergeben zwar noch keinen Sieger, aber gemeinsames Wundenlecken schweißt bekanntlich zusammen. Fehlender GestaltungswillenAuch jenseits der emotionalen Gemeinsamkeiten verbindet CDU/CSU und SPD manches. An erster Stelle fehlender Gestaltungswille. Die SPD wäre bekanntlich lieber in der Opposition und betont seither vor allem all das, was mit ihr nicht geht. Und die Unionsparteien taumeln, immer noch angezählt vom krachenden Stimmenverlust der Septemberwahl, durch den Ring auf der Suche nach der richtigen Ecke. Ihre Orientierungslosigkeit, von der CSU-Klausur und Dobrindts Werte-Papier gerade eindrucksvoll bestätigt, offenbart, worum allein es der Union geht: Irgendwie auf den Beinen zu bleiben, wieder die Bundeskanzlerin zu stellen und als Titelverteidiger in die nächsten (Wahl-)Kämpfe zu ziehen.Was ist von einer großen Koalition zu erwarten, die von den sie tragenden Parteien als Notrettungsverein auf Gegenseitigkeit gestartet wird? Kann das jene Regierung werden, die Europa und der Welt ein handlungsfähiges Deutschland verspricht? Die so viel besser sein soll als eine Minderheitsregierung? Nüchtern betrachtet, braucht Deutschland überhaupt keine Regierung, jedenfalls keine vom absehbaren Zuschnitt einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD.Seit mehr als drei Monaten wird dieses Land von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet – und man merkt praktisch keinen Unterschied zur Zeit vorher. Dem Land und seinen Bürgern geht es augenscheinlich gut, es herrschen weder Weltuntergangsstimmung noch Zukunftsangst. Daran wird sich bis Ostern nichts ändern, und nimmt man die Wahlkampfzeit hinzu, dann haben wir etwa ein ganzes Jahr der Verwaltung des Status quo. Aber auch die Welt rings um Deutschland herum scheint nicht wirklich davon beunruhigt, dass Land und Regierung von den Segnungen einer Agenda 2010 zehren, sich am Augenblick erfreuen – Verweile doch! du bist so schön! – und von Zukunft im Sinne einer Agenda 2030 wenig wissen wollen. Wenig gemeinsame NennerBei welchen Themen könnte eine von der Groko getragene Bundesregierung die Welt voranbringen? Über den zweifelsohne nötigen größeren Beitrag Deutschlands zur internationalen Sicherheit und Verteidigung sicher nicht, da sperrt sich die SPD. Mit einem Vorstoß zur wenigstens europäischen Verständigung zum Flüchtlingsproblem und einer Regelung zu Asyl und Einwanderung nach Deutschland ebenfalls nicht, da sperren sich CSU und Teile der CDU. Mit der Reform der EU, ihrer institutionellen und finanziellen Verfassung und der Rückbesinnung der Währungsunion auf die Grundsätze des Maastricht-Vertrags ebenfalls nicht, jedenfalls nicht mit der SPD des Parteivorsitzenden Martin Schulz und der CDU der Parteivorsitzenden Angela Merkel. Und die Umgestaltung der Alterssicherung als Antwort auf den demografischen Wandel, die Nutzung der Digitalisierung zur Entschlackung der Verwaltung und Rückführung öffentlicher Aufgaben und Ausgaben wie auch die Beseitigung innovationsfeindlicher Regulierung haben unter den drei Groko-Parteien nur wenige Anhänger.Da wäre es das kleinere Übel, Deutschland würde auch weiterhin nur geschäftsführend regiert, zumal es zur Lösung geopolitischer oder auch nur handelspolitischer Konflikte schon seit langem keine substanziellen Beiträge Deutschlands mehr gibt. Eine anschließende Minderheitsregierung würde dem Parlament wieder mehr Gewicht verleihen und den Wettstreit der Lösungsansätze fördern.Eine Minderheitsregierung wäre ehrlicher. Denn erstens wären Grundlage des Regierens nicht faule, sondern echte Kompromisse. Und zweitens würde auch nicht eine Autorität vorgetäuscht, die diese Regierung nach dem Wahlergebnis nicht mehr hat. Eine Minderheitsregierung wäre demokratischer, denn sie müsste sich anstrengen, das Parlament zu überzeugen und Mehrheiten zu organisieren. Es wäre die Chance, Politikverdrossenheit abzubauen. Und wenn sich die geschäftsführende Bundeskanzlerin dieser gestalterischen Aufgabe in einer Minderheitsregierung nicht mehr stellen mag – auch recht. Dann findet Ostern eben ohne manch alten Hasen statt.—-c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringEine Minderheitsregierung wäre ehrlicher: Ihre Grundlage wären nicht faule, sondern echte Kompromisse.——-