Pistorius wird neuer Verteidigungsminister
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wird neuer Verteidigungsminister. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete ihn am Dienstag als „herausragenden Politiker unseres Landes“. „Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“, erklärte der Kanzler.
Pistorius wird Nachfolger von Christine Lambrecht. Und dem Vernehmen nach wird vorerst nur dieser Posten im Kabinett neu besetzt und Proporzgründe zunächst hintangestellt. Lambrecht hatte am Montag ihren Rücktritt angekündigt.
Pistorius ist Mitglied des SPD-Parteivorstandes und wurde bereits mehrfach für Posten auf Bundesebene gehandelt. Er hatte sich 2019 – wie Scholz selbst – im Rennen um den SPD-Parteivorsitz nicht durchsetzen können. Der bisherige niedersächsische Innenminister hatte Wehrdienst bei der Bundeswehr geleistet und gilt als beliebt sowie als kommunikations- und durchsetzungsstark.
„Große Aufgabe“
Schon vor der offiziellen Bestätigung reagierte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner. „Gratulation an meinen neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius. Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, twitterte er. Er freue sich auf die gute Zusammenarbeit zwischen Finanz- und Verteidigungsministerium. „Pistorius ist einer unserer Besten. Das hat die Bundeswehr verdient und unser Land nötig in diesen schwierigen Zeiten“, twitterte die SPD-Europaabgeordnete und EP-Vizepräsidentin Katarina Barley. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz gratulierte ihm.
Scholz stand bei der Entscheidung unter erheblichen Zeitdruck. Denn am Freitag treffen sich die Verteidigungsminister der westlichen Alliierten, um über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu beraten. Dabei soll es auch um die Frage geben, ob Deutschland Leopard-2-Kampfpanzer liefert oder zumindest anderen Staaten die Erlaubnis erteilt, der Ukraine Leopards zu übergeben.
Keine Parität mehr im Kabinett
Aus Regierungskreisen hieß es, die Kabinettsumbildung beschränke sich zunächst auf das Verteidigungsministerium. Mit der Entscheidung für Pistorius gibt Scholz zumindest vorerst seine bisherige Linie auf, dass Männer und Frauen in gleicher Zahl im Kabinett vertreten sein sollen. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen hatte die paritätische Besetzung ebenso wie die Grünen nach dem Rückzug von Lambrecht gefordert. Der Koalitionspartner FDP hatte dagegen betont, es solle nicht nach Geschlecht entschieden werden.
Im Gespräch ist allerdings, dass Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Anfang Februar ihre Spitzenkandidatur für die Landtagswahl in Hessen erklären könnte. Sollte sie als Ministerpräsidentin nach Hessen wechseln, müsste ein weiterer Kabinettsposten neu besetzt werden. In den vergangenen Tagen war deshalb auch über einen Ringtausch spekuliert worden.
Mit der Ernennung von Pistorius erhält auch die SPD Niedersachsen in Berlin zusätzliches Gewicht. Denn auch Arbeitsminister Hubertus Heil kommt aus dem mitgliederstarken Landesverband.
Kritik aus der Union
Aus der Union kommt Kritik an der Entscheidung, Boris Pistorius (SPD) zum neuen Verteidigungsminister zu berufen. „Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle“, kritisierte Wadephul. Bei der Personalie handle es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Damit sei Kanzler Olaf Scholz (SPD) „eine echte Überraschung gelungen. Nur leider keine gute.“
Um die Bundeswehr voranzubringen, braucht es nach den Worten des CDU-Politikers nicht nur Geld, sondern auch Sachverstand. „Angesichts der Lage wird Boris Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können“, betonte Wadephul. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion biete dem neuen Minister die Zusammenarbeit an, werde seine Arbeit jedoch kritisch begleiten, kündigte Wadephul an.
Ausstehende Marktbewertung
Die große Frage ist, ob der neue Verteidigungsminister in der Lage ist, das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr anders als seine Vorgängerin zügig herzunehmen, um dafür Rüstungsmaterial zu erwerben, damit die Streitkräfte wieder auf einen modernen Ausrüstungsstand kommen. Rüstungstitel haben am Dienstag zwar kräftig zugelegt, was aber wohl nicht auf die Personalie in Berlin zurückzuführen sein dürfte, sondern auf eine Studie der US-Bank Goldman Sachs. Die Analysten hatten sich darin positiv zu den Aussichten der Branche geäußert und in diesem Zusammenhang auch die Papiere von Leonardo von „Neutral“ auf „Buy“ hochgestuft. In Mailand reagierten Leonardo darauf mit einem Kurssprung bis auf 8,70 Euro, dies war der höchste Stand seit Ende August. Zuletzt gewannen die Titel gut vier Prozent. Safran setzten in Paris ihren Höhenflug fort und kosteten so viel wie zuletzt Anfang März 2020. In Frankfurt ließen die Anteile von Hensoldt ihr Zwischenhoch von Anfang Januar hinter sich und erreichten den höchsten Kurs seit Anfang November. Rheinmetall markierten ein Hoch seit Anfang Juli und nähern sich ihrem Rekordhoch von 227,90 Euro weiter an.