Plädoyer für eine radikale Kooperation
Wirtschaftskrisen haben das Zeug, Gesellschaften zu verändern. Für den globalen Finanzsektor war seine Krise 2009 in vielfacher Hinsicht ein Paradigmenwechsel. Die Zeit nach der Krise hat zu einer umfassenden Neubewertung des Auftrags öffentlicher Kontrolle über die Finanzindustrie geführt. Kein Stein ist seither auf dem anderen geblieben. Es wird nichts mehr bilanziert wie vor 2009, viele einst “erfolgreiche” Produkte gibt es gar nicht mehr, die Dokumentation der Geschäfte ist mittlerweile präzise, zeitnah und umfassend, den Worten der Aufseher und Regulierer wird in den Banken gelauscht, das Risikomanagement beginnt plötzlich im Frontoffice.Bankenregulierung ist in eine völlig neue Dimension gewachsen. Neue Behörden wurden gegründet, tausende Aufpasser für den Sektor eingestellt, in den Banken wurden Spiegeleinheiten aufgebaut, die Kosten der Regulierung wachsen bis heute. Der hoheitliche Einfluss auf einen ganzen Wirtschaftszweig geht so weit, dass kein Vorstand ohne staatliche Genehmigung berufen werden kann. Das Verhältnis des Staats zu seinem Finanzsektor ist vollkommen neu definiert worden. Staat immer mächtigerUnd wenn die Coronakrise in ihrem Ausmaß nur ansatzweise der Finanzkrise vergleichbar ist, dann wird nach der Bewältigung der akuten Notlage ebenfalls ein Jahrzehnt kommen, in dem der öffentliche Sektor seine Rolle neu definiert und mächtiger wird, diesmal nicht nur bestimmten Branchen, sondern der gesamten Wirtschaft gegenüber.Schon bald nach der Krise wird der Staat damit beginnen, jene Mittel, die er gerade verteilt, teilweise zurückzuholen, zumindest aber ihre Nutzung zu überwachen. Wie immer das technisch geschieht, er wird damit unmittelbar Einfluss nehmen können auf die Willensbildung in den Unternehmen. Begründung für die über den Bail-out der Volkswirtschaft hinausgehenden Maßnahmen wird das Bemühen sein, für zukünftige Krisen besser gerüstet zu sein.Die Öffentlichkeit wird dieses staatliche Agieren nicht nur akzeptieren, sondern einfordern. In Krisenzeiten vertrauen die Bürger niemandem so sehr wie staatlichen Autoritäten und fordern von diesen Schutz und Sicherheit. Erinnern wir uns an die Pressekonferenz von Angela Merkel und Peer Steinbrück zu Anfang der Finanzkrise: Beide versprachen den Sparern, dass ihre Einlagen sicher seien – Schutz und Sicherheit durch den Staat. Politik und Behörden werden alles tun, um dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit weiter zu genügen.Es ist bereits eine heftige Diskussion darüber im Gange, wer sich denn dem privilegierten Kreis derer zugehörig fühlen darf, die “systemrelevant” genannt werden. Der Staat wird Wertungen vornehmen und bestimmte Branchen und Aufgaben privilegieren. Klar ist, es wird beschützt, beaufsichtigt, reguliert werden. Ideen gibt es schon viele. Systemrelevante Produkte sollen teilweise in Deutschland oder der EU hergestellt werden. Systemrelevante Branchen sollen dokumentieren, wie sie ihre Rohstoffe oder Systemteile beschaffen können und Planungen für Pandemien vorlegen, systemrelevante Firmen sollen ihre Eigentümer nicht ohne Genehmigungen wechseln können, systemrelevante Berufe sollen gefördert und besser bezahlt werden und in einer Mindestanzahl vorhanden sein.Private Sektoren, die nach ökonomischen Kriterien geleitet werden, werden sich mit weiteren Kriterien ihrer Relevanz auseinandersetzen müssen: private Krankenhäuser mit vorzuhaltenden Intensivbetten beispielsweise. Um dies alles zu steuern, werden neue Aufsichtsbehörden und neue Kontrollmechanismen gegründet, neue Maßstäbe begründet werden – “Macht” wird sich verschieben. Ökonomische Grundregeln werden hier wie dort aufgegeben werden: unwirtschaftlich arbeitende Geschäftsbereiche mancher Unternehmen oder solche, die nach dem Willen der Eigentümer aus strategischen Gründen verkauft oder geschlossen werden sollten, müssen möglicherweise auf staatliches Geheiß weiterbestehen und Teil des Konzerns bleiben, da sie “systemrelevant” sind. Die Staatsquote, die in der Bundesrepublik mit großen Anstrengungen über Jahrzehnte mühsam unter 45 % gedrückt wurde, wird in kürzester Zeit die 50 % deutlich überschreiten. “Wie hoch muss der Autonomiegrad einer Volkswirtschaft sein?” wird die Kernfrage für die Nach-Corona-Zeit werden.Die Konsequenzen der Coronakrise betreffen sowohl den öffentlichen Sektor als auch die private Wirtschaft. Beide müssen Beiträge leisten, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Beide müssen Verzicht üben – vielleicht auf denkbare Umsätze und Gewinne, vielleicht auf Spielräume in öffentlichen Haushalten. Beide Sektoren müssen Prioritäten neu setzen und Einschränkungen in Kauf nehmen. Gegenseitiges LernenSelten wird in einer Krise so klar wie in dieser, dass an ihrem Ende eine enge Zusammenarbeit aller stehen muss, um das Land für die Zukunft zu rüsten. Staat und Wirtschaft werden diese Krise gemeinsam bewältigen müssen. Was aber kann unsere Form einer neuen, fortentwickelten Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft in Deutschland sein und wie kann sie aussehen? Wo bisher gegenseitige Akzeptanz war, da muss gegenseitiges Lernen entstehen, Lernen ohne Selbstaufgabe, Lernen mit Respekt vor den eigenen Grenzen und im Bewusstsein der gelernten Praxis unserer Sozialen Marktwirtschaft. Das Lernen des Staats von den unternehmerischen Fähigkeiten und der wirtschaftlichen Rationalität und Effizienz des Privatsektors wie auch das Lernen der privaten Wirtschaft von der Rolle, der Identität und der Motivation öffentlicher Funktionen – das kann der spezifisch deutsche Weg werden.Der Manager in einem Unternehmen agiert in der Regel aus der abgeleiteten Autorität der Gesellschafter des Unternehmens. Die Interaktion mit Unternehmensführung und Gesellschaftern gibt ihm die wesentliche Orientierung bei seinem Handeln. Ziel seines Tuns ist wirtschaftlicher Erfolg. Das wird der neuen Zeit aber nicht mehr Genüge tun. Was es unter Managern künftig braucht, ist ein wirkliches Verständnis nicht nur der Technik, sondern vor allem anderen der Haltung, aus der heraus der Handelnde im öffentlichen Bereich, der Politiker, der Beamte, der Angestellte im öffentlichen Dienst, agiert. Es geht nicht lediglich um Entscheidungsmechanismen, sondern um Wertvorstellungen, um Teilhabe, um den Respekt vor der Gesellschaft und ihren häufig schwer vorhersehbaren Reaktionen. Das Ende des “Shareholder Value” hat Larry Fink bereits angekündigt. Nun wird es jeden Manager erreichen.Der Politiker kann nur etwas bewegen, wenn er sich in hochkomplizierte Strukturen integriert und sie möglichst beeinflusst. Zudem haben Politiker gelernt, sich in hierarchiefreien Netzwerken zu bewegen. Die Unterschiede zum Handeln des Managers sind beachtlich. Zwar sind größere Unternehmen heute auch komplexe Organisationen, aber die Polis ist doch viel komplexer als der komplexeste Weltkonzern.Allzu oft fehlt das Verständnis dafür, was mit gesellschaftlicher Verantwortung und ethischem Managerhandeln gemeint sein könnte. Wenn auf einen Aufschrei der Öffentlichkeit, kapitalstarke Konzerne dürften in Zeiten von Corona Mietzahlungen nicht aussetzen, von diesen Unternehmen reumütig geantwortet wird, man habe die Vorhaltungen vernommen und nehme diese ernst, dann ist das gut. Das Unternehmen bringt damit aber noch nicht zum Ausdruck, dass es den Vorwurf verstanden hat und dass es sein Handeln in Zukunft von anderen, ethisch-moralisch motivierten Motiven lenken lässt. Nach wie vor orientiert es sich am Ziel des wirtschaftlichen Erfolgs, nicht an gesellschaftlicher Verantwortung. Das wird in Zukunft nicht mehr ausreichen. Auch Manager werden in Zukunft nicht umhinkommen, sich mit Inhalten gesellschaftlichen Denkens und gesellschaftlicher Interessen zu beschäftigen und Stellung zu beziehen. Schließlich gilt es in Zukunft mehr als je zuvor, die Interessen der Unternehmen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft bewusst zu machen. Unternehmen werden mögliche Übergriffe des Staates nur abwehren können, wenn sie sich offensiv mit ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen.Zu lernen, was politisch-gesellschaftlich relevante Unternehmensführung in der Post-Corona-Ära bedeutet, darf also nicht nur heißen, umzusetzen, was ein starker Staat fordert, sondern muss bedeuten: verstehen, nachvollziehen, diskutieren und überzeugt vorleben. Ohne eine echte Haltung wird Management künftig nicht erfolgreich sein. Das sollte nach Corona jedem klar werden. Matthias Fritton, Partner der internationalen Personalberatung Spencer Stuart und Rolf Beckers, Partner der internationalen Personalberatung Spencer Stuart