GROSSBRITANNIEN

Politisches Strohfeuer

Die Wirtschaft Großbritanniens erlebt einen unerwarteten Aufschwung, der selbst die oft beneideten Vorbilder Deutschland und USA in den Schatten stellt. Trotzdem hat der konservative Schatzkanzler George Osborne den harten Konsolidierungskurs...

Politisches Strohfeuer

Die Wirtschaft Großbritanniens erlebt einen unerwarteten Aufschwung, der selbst die oft beneideten Vorbilder Deutschland und USA in den Schatten stellt. Trotzdem hat der konservative Schatzkanzler George Osborne den harten Konsolidierungskurs bestätigt und auf größere fiskalische Geschenke verzichtet. Hinter der nüchternen Haltung steht politisches Kalkül. Die Regierung und die Bank of England haben mit ihren Hypothekensubventionen und dem Versprechen von Notenbankgouverneur Mark Carney, den Leitzins noch jahrelang auf rekordniedrigem Niveau zu halten, die Konsumlaune der Mittel- und Oberschicht angestachelt und den Immobilienmarkt angeheizt. Die Zahl der Hauskäufe legte 2013 um ein Viertel zu; die Hauspreise stiegen um 6 %. Allein die Immobilienmakler haben 50 000 neue Jobs geschaffen und beschäftigen heute mehr Leute als im Boomjahr 2007.Die strukturellen Schwächen der britischen Wirtschaft werden damit aber noch lange nicht beseitigt. Der unter einem schwierigen Planungsrecht leidende Hausbau hat sich auf niedrigem Niveau konsolidiert. Die Investitionen der Unternehmen werden nach Einschätzung der Regierung auch in den nächsten Jahren weiter viel langsamer wachsen als der Konsum. Die Verschuldung der Haushalte und des Staates nimmt weiter zu. Die Exporte der zu wenig wettbewerbsfähigen Industrie bleiben bis zum Ende des Jahrzehnts mau. Die Abhängigkeit vom hochriskanten Finanz- und Immobiliensektor hat sich trotz vieler guter Absichtserklärungen nicht vermindert. Auch das Bildungssystem ist weiter mangelhaft, wie die in dieser Woche vorgelegten Pisa-Zahlen zeigen.Die Konjunkturerholung ist also eher ein politisch entfachtes Strohfeuer. Sein größter Profiteur ist – eineinhalb Jahre vor der Wahl – der konservative Schatzkanzler Osborne: Der Aufschwung scheint die Richtigkeit seiner Konsolidierungspolitik zu beweisen und die ewige Kritik der Labour-Partei zu widerlegen. Gleichzeitig kann Osborne wegen der anhaltenden Herausforderungen davor warnen, ihn bereits aus der Verantwortung zu entlassen und die Tories abzuwählen. Labour hält dem den verzweifelten Vorwurf entgegen, die Arbeitnehmer seien unter den Tories im Durchschnitt um 1 600 Pfund ärmer geworden. Die realen mittleren Erwerbseinkommen sanken zwischen 2009 und 2012 um 6,4 %; eine Trendwende wird nicht vor Ende 2015 erwartet. Große Teile der Bevölkerung spüren noch nichts vom Aufschwung. Ein Erfolgsrezept für nachhaltiges Wachstum hat aber auch Labour nicht.