GASTBEITRAG

Populistische Kritik an der EZB ist gefährlich

Börsen-Zeitung, 18.9.2019 Die Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird immer lauter und aggressiver. Die Kritiker sind sich dabei offenbar nicht bewusst, dass sie mit mitunter abstrusen Vorwürfen die Legitimität und...

Populistische Kritik an der EZB ist gefährlich

Die Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird immer lauter und aggressiver. Die Kritiker sind sich dabei offenbar nicht bewusst, dass sie mit mitunter abstrusen Vorwürfen die Legitimität und Unabhängigkeit der Notenbank unterwandern und damit langfristig das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich erreichen wollen. Schlimmstenfalls führt das zu wirtschaftlichem Chaos und Hochinflation.Die “Bild”-Zeitung vergleicht EZB-Präsident Mario Draghi mit Graf Dracula, der die deutschen Sparer aussauge. Andere suggerieren auf etwas subtilere Art, dass die EZB deutsche Sparer bestrafen und ausländische Schuldner belohnen wolle. Wenige vermitteln die von Präsident Draghi betonte Botschaft der EZB-Pressekonferenz – dass die Geldpolitik nicht so expansiv sein müsste, wenn die Finanzpolitik, allen voran in Deutschland, die Konjunktur stärker unterstützte.Verschwiegen wird, dass die Arbeitslosenquote im Euroraum vor allem dank der lockeren Geldpolitik in den vergangenen sechs Jahren von über 12 % auf zuletzt 7,5 % gefallen ist – und ebenso, dass gut 13 Millionen Menschen mehr nun ein Arbeitseinkommen haben, das für die meisten Bürger auch in Hochzinsphasen deutlich höher ist als ihre Kapitaleinkünfte. Die Kritiker vergessen auch, dass in Deutschland die Inflation und die Arbeitslosenquoten niedriger sind als zu Bundesbankzeiten und dass der stabile Außenwert des Euro der Wirtschaft nun 20 Jahre lang sehr gute Rahmenbedingungen geboten hat.Die Kritik an der EZB hat in Deutschland inzwischen Tradition und passt sich dabei den Umständen an. Während in den ersten Jahren der unkonventionellen Geldpolitik von den EZB-Kritikern Inflationsgefahren an die Wand gemalt wurden, sind es nach Ausbleiben derselben nun die Gefahren für die Finanzstabilität. In jüngster Zeit wird sogar die Inflationsnorm von “unter, aber nahe von 2 %” diskreditiert. Diese Quantifizierung stehe so nicht im Europäischen Vertrag und sei daher nicht demokratisch legitimiert. Tatsächlich hat die EZB nach dem Vorbild der Bundesbank die Unabhängigkeit erhalten, selbst zu entscheiden, welche Inflationsnorm für die Währungsunion angemessen ist und mit welchen geldpolitischen Mitteln diese erreicht werden kann. Begriff “Strafzins” ist perfideSicherlich hätte die EZB auch eine niedrigere Inflationsnorm von 1 % wählen können, genauso wie eine höhere von 3 %. Falsch ist aber, dass bei einem niedrigeren Inflationsziel keine so expansive Geldpolitik notwendig sei, wie viele Kritiker suggerieren. Bestes Beispiel dafür ist die Schweiz, die bei einem niedrigeren Inflationsziel noch niedrigere Leitzinsen hat als die EZB. Würde die EZB ihre Definition von Preisstabilität auf 1 % absenken, würden erst die Inflationserwartungen sinken und schließlich die Inflationsraten selbst. Vor allem sollte klar sein, dass die Inflationsnorm eher erhöht als gesenkt würde, da der Währungsraum seit Gründung von 11 auf 19 Mitglieder angewachsen und damit heterogener geworden ist.Die Kritik an der EZB geht weiter und wird zunehmend populistisch: Beispielsweise, wenn suggeriert wird, dass die EZB die Sparer mit niedrigen Zinsen bestrafen würde. Der Begriff “Strafzinsen”, den nun sogar die Tagesschau übernommen hat, ist so perfid wie unangemessen, da er ein normatives Vorgehen der EZB suggeriert. Strafe setzt Unrecht voraus. Wenn die EZB aber eine Einlagenfazilität anbietet, kann sie deren Nutzung nicht als Unrecht ansehen – genauso wenig die Banken, die sie freiwillig anstelle anderer Anlagemöglichkeiten auf der Aktivseite ihrer Bilanz wählen. Eine Zentralbank versucht weder Investoren noch Sparer zu belohnen oder zu bestrafen. Sie agiert vollkommen wertfrei, wenn sie die Marktzinsen so lenkt, dass Inflationsraten und Arbeitslosenquoten ein optimales Maß annehmen.Der Begriff “Strafzinsen” ist zudem destruktiv, da derjenige, der sich unberechtigterweise bestraft fühlt, die Legitimität der EZB leichter anzweifelt. Die FDP bezeichnet negative Zinsen als Enteignung, wohl wissend, dass die Banken ihre Liquiditätsüberschüsse freiwillig bei der EZB deponieren. Kein Wunder, dass der CSU-Vorsitzende Markus Söder negative Sparzinsen verbieten möchte. Dies würde die Lenkungswirkung der aktuellen Geldpolitik neutralisieren. Dass jeder gesparte Euro auch von jemand nachgefragt werden muss, der bereit ist, für einen Kredit Zinsen zu zahlen, bleibt meist unerwähnt. Genauso wenig wird erklärt, dass der Einfluss der Geldpolitik auf den allgemeinen Zinstrend eher gering ist. Dieser leitet sich aus der Rentabilität von Investitionen und der Knappheit von Ersparnissen ab, die wiederum stark von demografischen Trends beeinflusst werden. Es gibt daher dominierende natürliche und globale Gründe, warum die Sparzinsen derzeit so niedrig sind. Politiker müssen aufpassenDass Lobbyisten aus den Banken- und Sparkassenverbänden die EZB für niedrige Zinsen kritisieren, ist nachvollziehbar. Bei Politikern ist es das nicht. Dass Worten Taten folgen können, sehen wir in Ländern wie der Türkei, wo nach jahrelanger Kritik an zu hohen Leitzinsen der Zentralbankchef ausgetauscht wurde und nun Zinssenkungen de facto von Präsident Recep Tayyip Erdogan angeordnet werden. Selbst in den USA hat sich Präsident Donald Trump auf die Fed eingeschossen und verlangt niedrigere Zinsen. Gut vorstellbar, dass er die nächsten Mitglieder für den Offenmarktausschuss der US-Zentralbank danach auswählt, ob sie die von ihm geforderte Niedrigzinspolitik unterstützen.So weit ist es im Euroraum glücklicherweise noch nicht. Das vermeintliche Eintreten für die Interessen der Sparer ist aber nichts anderes als der Populismus, den wir von Ländern kennen: In den USA war es das jahrelange Leugnen des Klimawandels sowie das Anzweifeln der Geburtsurkunde von Präsident Barack Obama, das den Weg bereitet hat für die Wahl Trumps und weitere Unwahrheiten. In Großbritannien hat eine polemische Presseberichterstattung über die vermeintlich überzogene Brüsseler Regulierung und Bürokratie den Brexit-Weg geebnet. In beiden Ländern wäre stärker Widerspruch gegen Polemik und Unwahrheiten geboten gewesen. Der Presse kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu.Ein ökonomischer Diskurs über die angemessene Geldpolitik muss stattfinden. Es sprechen aktuell auch gute ökonomische Gründe gegen die Neuauflage des Wertpapierkaufprogramms. Die Kritik muss aber sachlich bleiben. Andernfalls droht die Legitimität und damit die Unabhängigkeit der Geldpolitik zu erodieren. Die EZB könnte eine neue große europäische Krise dann nicht mehr unbeschadet überleben. Klar sollte allen Kritikern sein, dass darauf kaum geldpolitische Stabilität und eine Renaissance alter Bundesbankzeiten folgen würde.—-Karsten Junius, Chefvolkswirt, Bank J. Safra Sarasin