Preisdeckel statt Gewinnabschöpfung
Als Reaktion auf die hohen Energiekosten will die Europäische Kommission den Stromverbrauch senken und den Gewinn der Stromerzeuger oberhalb des Betrags von 18 Cent pro Kilowattstunde abschöpfen und dann von den Mitgliedstaaten an die Endkunden umverteilen lassen. Mit der Gewinnabschöpfung greift sie auf ein Instrument zurück, welches das Problem nicht lösen wird – helfen kann nur ein Preisdeckel für Strom.
Zutreffend hat die EU-Kommission als Ausgangsproblem erkannt, dass ein bedeutender Teil des Stroms bisher nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip an der Börse angeboten wird. Dadurch bestimmt das teuerste Kraftwerk den Preis. Und weil Gaskraftwerke seit dem von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine erhebliche Preissteigerungen aufwiesen, ist der Strom für alle Erzeugungsarten an der Börse gestiegen. Deshalb erzielen insbesondere Unternehmen, die Strom aus erneuerbaren Quellen anbieten, enorme „Überschussgewinne“.
Höhere Gewinne als erwartet
Kalkuliert hatten Betreiber von Onshore-Windkraftanlagen oder Fotovoltaik in der Regel mit Strompreisen im Bereich von 5 bis 8 Cent pro Kilowattstunde, derzeit erzielen sie das Zehnfache. Diese „Übergewinne“ plant die EU-Kommission nun abzuschöpfen. Vizepräsident Frans Timmermans erklärt dazu: „Eine Obergrenze für Überschusserlöse wird dazu führen, dass Energieunternehmen mit übermäßig hohen Gewinnen Solidarität mit ihren krisengeplagten Kunden zeigen.“
Das stimmt so nicht, denn am Strompreis für den Endverbraucher ändert sich nichts. Der Vorschlag der EU-Kommission lässt offen, was mit den abgeschöpften Gewinnen passiert. Deshalb wird der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission das Problem nicht lösen. Helfen kann nur ein Preismechanismus, der unmittelbar zu einer Absenkung der Strompreise für die Verbraucher führt.
Ausgangsproblem ist der Merit-Order-Mechanismus zur Strompreisbildung. Der Strompreis an der Strombörse wird durch einen sogenannten Räumungspreis bestimmt: Der teuerste Stromerzeuger legt den Preis auch für alle anderen fest. Dabei handelt es sich um keine freie Entscheidung der Strombörsenbetreiber. Vielmehr ist der Vorgang Resultat eines regulierten Marktes und beruht auf einer Verordnung der EU-Kommission 2015. Die Börsenbetreiber selbst integrieren den Mechanismus durch ihre Handelsbedingungen in einzelne Verträge mit Käufern und Verkäufern. Während die gestiegenen Preise für Strom aus fossilen Brennstoffen auf einem geringeren Angebot der Ressourcen beruhen, sind die gestiegenen Preise für Strom aus erneuerbaren Energien also ein hausgemachtes Problem.
Der Verordnungsentwurf erfährt aus mehreren Richtungen Kritik: Zum einen wird vorgebracht, der Entwurf differenziere nicht hinreichend innerhalb der erneuerbaren Energien nach gestiegenen Produktionskosten – ein Vorwurf, den insbesondere die spanische Regierung und einige Bioenergieverbände erheben. Zum anderen wird befürchtet, dass eine Erlösabschöpfung die Energieknappheit in der EU sogar noch verschärfen könnte, weil Unternehmen dazu verleitet werden könnten, ihren Strom vorzugsweise in Ländern außerhalb der EU zu verkaufen. Auch Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien seien durch den Eingriff von außen nunmehr regulatorischer Unsicherheit ausgesetzt oder könnten daher ebenfalls ins EU-Ausland verlagert werden. Da gerade derartige Investitionen jedoch dringend benötigt werden, scheine der Entwurf einer langfristigen Lösung der Energiekrise entgegenzuwirken. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Denn Investoren in erneuerbare Energien rechnen in der Regel mit viel geringeren Zahlen als 18 Cent pro Kilowattstunde, und die kurzfristigen Zufallsgewinne dürften für Unternehmen derzeit kaum eine taugliche Kalkulationsbasis für weitere Investitionen darstellen.
Berechtigt ist hingegen die Warnung, dass die zeitverzögerte und in ihrem Umfang ungewisse Rückführung der Gewinne an den Endkunden ein volkswirtschaftliches Risiko darstellt. Die Endkunden können nach dem aktuellen Entwurf lediglich darauf hoffen, dass die von der EU-Kommission geforderte Umverteilung der Erlöse bei ihnen ankommt und sie dadurch entlastet werden. Denn die genaue Ausgestaltung der Umverteilung bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten. Bei einer geschätzten Summe von 140 Mrd. Euro ist das eine gewaltige Aufgabe von sozialem und politischem Gewicht verbunden mit einem hohen administrativen Aufwand. Bis eine Entscheidung getroffen ist und die Entlastung bei den Verbrauchern ankommt, wird es dauern. Das Problem der Energiekrise liegt auch nicht in leeren Staatskassen, sondern in einer zu starken Belastung privater Haushalte sowie mittelständischer Betriebe. Die Entlastung dieser Bereiche kann mit einem Preisdeckel wesentlich effizienter erreicht werden als mit einer langwierigen Umverteilung, die vielleicht niemals beim Endkunden ankommt. Voraussetzung wäre ein nach Erzeugungsart getrenntes Day-ahead-Trading, also der Handel von Strom für den folgenden Tag, an den Spotmärkten. Damit würde der Preis für Strom aus fossilen Brennstoffen weiter gleichauf mit höheren Preisen für Ressourcen wie Gas steigen. Strom aus erneuerbaren Energien wäre indes von den steigenden Gaspreisen losgelöst. Anbieter würden damit weiter der Merit Order unterliegen, jedoch lediglich im Verhältnis zu anderem aus erneuerbaren Energien erzeugten Strom, was zu einem eigenen Preisdeckel führen würde.
Entlastung für Verbraucher
Der Strompreis insgesamt würde sich im nächsten Schritt anteilig aus dem (höheren) Preis für Strom aus fossilen Brennstoffen und dem (niedrigeren) Preis für Strom aus erneuerbaren Energien zusammensetzen. Das hätte zur Folge, dass Endkunden zwar anteilig die gestiegenen Preise für Gas tragen müssten, aber nicht mehr den künstlich gestiegenen Preisen für Strom aus erneuerbaren Energien. Eine derartige Preisgestaltung würde den Verbraucher unmittelbar und zeitnah entlasten.
Sollte der Rat den Vorschlag der EU-Kommission am 30. September beschließen, bleibt abzuwarten, wie und wann die nationalen Gesetzgeber die Rückführung der „Überschussgewinne“ an den Endkunden ausgestalten werden. Die politischen und rechtlichen Herausforderungen für einen Umverteilungsmechanismus werden nicht unerheblich sein.