IM GESPRÄCH: DAMBISA MOYO

Probleme nur mit Wachstum lösbar

Die Volkswirtin und Autorin will den Populismus durch Bildung und eine Wahlpflicht bekämpfen

Probleme nur mit Wachstum lösbar

Dambisa Moyo hält den Populismus für eine Manifestation vieler anderer Probleme. Zur Lösung setzt sie auf Aufklärung, politische Bildung und die Einführung einer Wahlpflicht. Als die zwei großen Themen der Zukunft identifizierte sie China und Technologie – beides habe aber bislang wenig zum Wachstum beigetragen.Von Andreas Hippin, LondonViele Freunde in der Politik hat sich Dambisa Moyo mit ihrem neuen Buch “Edge of Chaos” nicht gemacht. Kein Wunder: Die in Sambia geborene Volkswirtin, die bei der Großbank Barclays, dem Industriekonglomerat 3M und der Ölgesellschaft Chevron im Board sitzt, beschäftigt sich darin mit dem traurigen Zustand, in dem sich viele westliche Demokratien befinden. Kein Geringerer als der ehemalige Obama-Berater Steven Rattner putzte es in der “New York Times” herunter. Die von ihr vorgeschlagenen Lösungen seien so gefährlich wie das Chaos, das sie zu vermeiden suche, lautete das von der “Irish Times” veröffentlichte Urteil des irischen Finanzministers Paschal Donohoe zu ihrem Buch. Die Macht der NetzwerkeMoyo hält den allseits beklagten Populismus für eine Manifestation vieler anderer Probleme, die westliche Demokratien seit vielen Jahrzehnten haben. “Die Wahlbeteiligung war unglaublich niedrig”, sagt sie im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. In den Vereinigten Staaten liege sie bei um die 50 %, für Geringverdiener-Haushalte liege sie bei etwa 30 %. Das sei von “Ein Mensch, eine Stimme” weit entfernt. Zudem sickere immer mehr Geld in den politischen Prozess. Lobbying beeinflusse nicht mehr nur Politiker, sondern die öffentliche Ordnung insgesamt. “Es gibt das tiefsitzende Gefühl, dass die Vorteile des Wachstums – und mit Sicherheit auch die der Globalisierung der vergangenen 30 Jahre – denen zugutegekommen sind, die über Kapital verfügen, aber nicht denen, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen”, sagt Moyo. Das habe eine breite populistische Gegenreaktion hervorgerufen.”Wenn man wirklich einmal darüber nachdenkt, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen, wogegen sich diese Reaktion genau wendet.” Es gebe darin eine Anti-Zuwanderungs-Strömung, eine Anti-Elite-Strömung, eine antikapitalistische Strömung, eine gegen Globalisierung. Sie hätten einiges gemeinsam, seien aber doch auch ziemlich verschieden. Das entspricht nicht dem beliebten Ansatz, aus dem Votum für den Brexit in Großbritannien, der Wahl von Donald Trump in den USA und anderen Ereignissen wie der Wahl von Jair Bolsonaro in Brasilien eine große Erzählung von einem weltweiten Durchmarsch der Rechten zu konstruieren. “Populismus ist ein verkürzter Ausdruck für Netzwerke der Bevölkerung, die bereit sind, sich den traditionellen politischen Strukturen entgegenzustellen”, sagt Moyo. “Vielleicht würde ich sogar sagen: den politischen und wirtschaftlichen Strukturen.” Diese Leute seien mit dem politischen Prozess unzufrieden. Sie glaubten einfach nicht mehr an die politische Infrastruktur – die öffentlichen Haushalte, die Aufgaben von Justiz, der Legislative usw. “All das zusammen nennen wir heute Populismus. Es ist ein Allerweltswort.” Um das Problem zu identifizieren und mögliche Lösungen zu finden, müsse man mehr tun, als einfach nur von Populismus zu sprechen. Denn je nachdem, welche Art Populismus einem Sorgen mache, sehe die Lösung anders aus.Politische Parteien, die auf solchen Netzwerken basierten, hätten ihre Macht bewiesen. “Wenn sie nicht an die Macht kommen, können sie Königsmacher werden”, sagt Moyo, die vom US-Magazin “Time” einmal zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gerechnet wurde. “Sie werden in vielen Ländern Teil des Puzzles einer Koalitionsbildung, insbesondere in Europa.” Sie setzt auf Aufklärung, auf politische Bildung und die Einführung der Wahlpflicht. Ihr wurde unterstellt, den Uninformierten das Wahlrecht absprechen zu wollen. “Wir wollen, dass mehr Leute wählen, aber wir wollen, dass diese Menschen informiert sind”, sagt Moyo. “Das hat nichts damit zu tun, das Wahlrecht von Rasse, Geschlecht oder Vermögen abhängig zu machen. Das haben wir hinter uns. Wir leben im 21. Jahrhundert.” Es gehe vielmehr darum sicherzustellen, dass die Menschen wirklich über die nötigen Informationen darüber verfügten, wie die Struktur einer Demokratie funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und wie sie am besten dazu beitragen können. Moyo spricht sich für eine Verlängerung der Legislaturperiode aus und dafür, Politikern mehr zu bezahlen. “Das sollte jedoch mit realen Ergebnissen verknüpft werden”, sagt sie, etwa mit der Verbesserung des Lebensstandards. “Denn man will sie zur Rechenschaft ziehen können.” Moyo will Menschen für die politische Teilnahme belohnen. “Das hat nichts mit ihrem Bildungsniveau zu tun”, sagt sie. “Natürlich ist so etwas wie Staatsbürgerkunde-Unterricht sehr hilfreich. Als ich aufgewachsen bin, war das ein Pflichtfach.” Heute sei das nicht mehr so. “Man sollte die Leute für Partizipation belohnen.” Erlaubte IgnoranzMoyo hält nicht viel von der Idee, dass man sich nicht überarbeiten sollte. “Es gibt diese Sichtweise, dass alles leicht sein sollte”, sagt sie. “Vielleicht liegt es an den sozialen Medien, keine Ahnung, wo das herkommt, aber die Leute denken, dass sie es nicht nötig haben, hart zu arbeiten.” Ihr missfällt zudem die Art der Auseinandersetzung im universitären Umfeld. Es fehle nicht nur an Anstand, Verbindlichkeit und Auseinandersetzungsbereitschaft: “Man kann nicht mehr vernünftig miteinander reden”, sagt sie. “Junge Leute argumentieren vehement gegen die Regierung. Sie hassen die Reichen, sie hassen dies und das. Aber wenn ich sie frage, ob sie auch nur eine einzige Wirtschaftsvorlesung besucht haben, heißt es: Nein.” Wenn man kritisieren wolle, sollte man doch ein grundlegendes Verständnis davon haben, wie ein System funktioniert. “Unglaublich ignorant”, sei das. “Aber das ist jetzt erlaubt.” Wo sie aufgewachsen sei, hätte man mit unsinnigen Ideen, die man nicht belegen kann, nicht überlebt.Ohne wirtschaftliches Wachstum lassen sich die Probleme nicht lösen, sagt Moyo. Für sie bestimmen zwei große Themen die Zukunft: China und Technologie. Die Volksrepublik sei jedoch zu selbstbezogen, um eine weltweite Wachstumsstory zu sein. Das Wachstum dort komme in erster Linie China selbst zugute. Und technologische Neuerungen hätten in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren wenig zum Wachstum beigetragen. “Vor 50 Jahren dauerte es sechs Stunden, um von New York nach London zu fliegen”, sagt Moyo. “Heute, im Jahr 2019, dauert es immer noch sechs Stunden.” Es gebe viele große Innovationen, die hätten stattfinden sollen, aber nicht stattgefunden haben. “Nehmen wir das Apple-Smartphone. Sicher liefert das einen zusätzlichen Nutzen”, sagt Moyo. “Aber war es so etwas wie die Erfindung des Telefons durch Alexander Graham Bell? Nein, war es nicht.” Die Menschheit habe so viele Fragen nicht gelöst: Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Klimawandel, Energie. “Aber wenn ich jetzt zurückblicke und mich frage, was haben wir in den vergangenen zehn Jahren mit all der Information gemacht, über die wir durch die Technologie verfügen, muss ich sagen, dass sie das Wachstum nicht groß angetrieben haben.”Afrika werde in den kommenden 50 Jahren nicht zum Kraftzentrum der Weltwirtschaft, trotz des starken Bevölkerungswachstums. “Es gibt eher ein reales Risiko der ungeordneten Migration”, sagt Moyo.