Russland

Putin hat im Inland ein Problem

Putin braucht dringend irgendeine Art von Erfolg, um aus dem Ukraine-Desaster herauszukommen. Die Sollbruchstelle in der russischen Gesellschaft beginnt nämlich zu krachen.

Putin hat im Inland ein Problem

Man kann und muss die Eskalation, die Russlands Staatschef Wladimir Putin mit der Teilmobilmachung herbeiführt, auf verschiedenen Ebenen deuten. Da ist zum einen der Wunsch, nach allen eigenen Fehleinschätzungen und vor allem der jüngsten Gegenoffensive durch die ukrainische Armee die eroberten Gebiete abzusichern und mittels Referenden in den einzelnen Gebieten deren Anschluss an Russland durchzusetzen. Und da ist sicher die Absicht, den Westen zu schrecken, damit dieser die Unterstützung der Ukraine mittels Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland zurückfährt.

Inzwischen wird aber ein neuer Aspekt zunehmend relevant: Der Krieg wird für Putin mehr und mehr zu einem innenpolitischen Problem, das einer Zwickmühle gleichkommt. Noch ist der Graben, der sich in der Gesellschaft auftut, nicht so leicht sichtbar. Aber er verläuft entlang einer Sollbruchstelle zwischen alten Hardlinern und jüngeren Menschen, die – wenn schon nicht eine westenfreundliche – so doch eine konfliktfreie Zukunft im Wohlstand anstreben.

Nicht zufällig ließ der Kreml die Teilmobilmachung mit neuen Gesetzen begleiten, die drakonische Strafen bei Befehlsverweigerung vorsehen. Der Kreml weiß, dass der Krieg mit der Teilmobilmachung nun endgültig in den russischen Familien ankommen wird und propagandistische Beschönigungen nicht mehr lange helfen. Er weiß, dass die Jungen schon jetzt nur mäßig begeistert vom Kampf gegen die Ukraine sind und dass ihre Eltern genauso wenig begeistert sein werden, sobald ihr Sohn an die Front geschickt wird.

Putin weiß aber auch, dass ihm politisch seine Kernwählerschaft im älteren, sowjetgeschulten Bevölkerungssegment und die hochgezüchteten Hardliner aus dem Establishment im Nacken sitzen. Sie sind es, die für ihn politisch weitaus gefährlicher sind als die politisch diffusen und vor allem führungslosen Teilliberalen.

Putin macht vermehrt einen panischen Eindruck, weil ihm die Zeit davonläuft. Denn eines steht außer Frage: Die Russen verlangen, dass er ihnen irgendeinen Erfolg aus dem ganzen unsinnigen Unterfangen vorweist. Just China, das nun auch „alle maßgeblichen Parteien“ zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand drängt, scheint das verstanden zu haben. Nicht zufällig sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, dass so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden muss, „die den legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien Rechnung trägt“. Wie eine solche Lösung aussieht, ist zwar noch weniger klar als vorher. Sie ist aber nötig – und zwar nicht, um Putin den Kopf zu retten, sondern um die Eskalation zu stoppen.

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