IM BLICKFELD

Putin scheint mit seinem Latein am Ende zu sein

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 23.4.2020 Am Ende war Russland doch wieder auffällig schnell bereit, sich mit der Opec schon am 10. April auf Förderkürzungen zu einigen. Anfang März noch hatte Kremlchef Wladimir Putin Saudi-Arabien die...

Putin scheint mit seinem Latein am Ende zu sein

Von Eduard Steiner, MoskauAm Ende war Russland doch wieder auffällig schnell bereit, sich mit der Opec schon am 10. April auf Förderkürzungen zu einigen. Anfang März noch hatte Kremlchef Wladimir Putin Saudi-Arabien die kalte Schulter gezeigt – und damit den Preisverfall von 66 auf anfänglich 22 Dollar je Fass der Sorte Brent ausgelöst, weil Riad aus Zorn den Markt flutete. Vielleicht hatte er die Saudis einfach unterschätzt. So wie er das Coronavirus unterschätzt hatte. Die längste Zeit nämlich hatte Putin beschwichtigt, dass eigentlich alles unter Kontrolle sei.Davon kann inzwischen allerdings längst nicht mehr die Rede sein. Inzwischen nämlich tritt zutage, dass Russland vom Coronavirus nicht nur im selben Ausmaß betroffen ist wie nahezu alle Länder. Inzwischen zeigt sich klar, dass Russland von drei Schlägen gleichzeitig getroffen wird. Zum einen nämlich befand sich die Wirtschaft zuletzt mit einem Wachstum von 1,3 % de facto schon in der Stagnation. Zum anderen zieht ein globaler Wirtschaftsrückgang Russland traditionell tiefer nach unten. Und zum Dritten dürfte der für Russland so wichtige Ölpreis trotz Einigung mit der Opec noch länger deutlich unter jenen 42,4 Dollar bleiben, die der Staat für ein ausgeglichenes Budget braucht.Wie dramatisch die Situation ist, zeigt die aktuelle Preisentwicklung beim Öl. Denn zusätzlich zum berechtigten Zweifel, ob die ab Mai wirksamen Förderkürzungen ausreichen, um den Preis zu stabilisieren, kommt das Faktum, dass russisches Öl der Referenzsorte Urals aufgrund des saudischen Dumpings derzeit noch billiger im Verhältnis zu Brent gehandelt wird als in normalen Zeiten. Der Preisabschlag erreicht zeitweise 8 bis 9 Dollar. Aktuell bekommen die Russen für ihr Öl daher nicht einmal die Hälfte dessen, was sie im Budget veranschlagt haben. Kreml agiert nur zögerlichWas nun das Coronavirus selbst betrifft, so hat Putin Ende März immerhin ein markantes Zeichen gesetzt und den ganzen April für frei erklärt. Nur was die finanziellen Mittel betrifft, die er zur Bekämpfung der Krise bereitstellt, ist er auffällig zurückhaltend.Es ist nicht so, dass der Kreml angesichts der inzwischen über 58 000 Infizierten nichts unternommen hat. Dass er aber anfänglich gerade mal 1,2 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) bereitstellen ließ, während westeuropäische Staaten und die USA zumindest mit einem Zehntel ihrer Wirtschaftskraft in die Schlacht gingen, erregte deutlichen Unmut. So hat vor wenigen Tagen eine ganze Schar der renommiertesten russischen Ökonomen den Kreml aufgerufen, die Stützungsmaßnahmen zumindest auf 4 bis 6 % des BIP zu erhöhen, gegebenenfalls sogar auf 10 %. Vor allem dass der Staat die Unternehmen ihrem eigenen Schicksal überlasse, sei eine zynische Haltung, wie Oleg Wjugin, Ex-Vizechef der Zentralbank und heute Wirtschaftsprofessor sowie Aufsichtsratschef der Moskauer Börse, anmerkte.Zumindest teilweise hat Putin reagiert und Mitte April für die Zeit vom 18. Mai an unter anderem direkte Finanzhilfen für Klein- und Mittelbetriebe in Aussicht gestellt – sofern sie mindestens 90 % ihrer Belegschaft im Angestelltenverhältnis lassen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow zufolge betragen sämtliche Staatshilfen insgesamt nun über 2 Bill. Rubel (etwa 25 Mrd. Euro) bzw. 1,8 % des BIP. Die direkte Hilfe betrage gerade mal mickrige 0,3 % des BIP, widerspricht Natalja Orlowa, Chefanalystin der Alfa-Bank, die ins Feld führt, dass der Staat zur Zeit der Finanzkrise 2008 ganze 5,2 % des BIPs an Finanzhilfen aufgewendet habe. Eigentlich seien es jetzt 2,8 % des BIP, wenn man die gezielten Ausgaben und die Steueraufschiebung sowie Garantien zusammenzähle, konstatiert Finanzminister Anton Siluanow.Die Dramatik der Ereignisse scheint sukzessive in der Regierung und im Kreml anzukommen. Der Ökonomenpool nämlich hat in seinem Aufruf festgehalten, dass ein Rückgang der globalen Wirtschaft um 3 %, wie sie der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert, in Russland zu einem BIP-Einbruch von bis zu 8,6 % führen könnte. Der IWF ist positiver gestimmt und meint, dass Russland mit einem BIP-Rückgang von 5,5 % durchkomme. Spielräume wären vorhandenSo dramatisch sie Situation auch ist: Russland hat – abgesehen von der Rubelabwertung, die den Exportfirmen und teils auch den Budgetplanern entgegenkommt – noch weitere Spielräume, die es jetzt nützen kann. Zum einen liegen die Internationalen Währungsreserven bei 565 Mrd. Dollar und damit nahe dem Rekordwert der aus dem Jahr 2008 stammt (598 Mrd. Dollar). Der Staatsfonds (Nationaler Wohlstandsfonds), der in den vergangenen Jahren aus überschüssigen Öleinnahmen diszipliniert gefüllt worden ist, hat längst die Größe von mehr als 7 % des BIP erreicht (siehe Grafik). Ausgehend vom jetzigen Ölpreis reichen die Ressourcen des Fonds bis 2024, sagte Siluanow am vergangenen Wochenende.Auch der Schlüsselzinssatz der Zentralbank, der noch immer bei hohen 6 % liegt, bietet einen Spielraum, den die Währungshüter schon am morgigen Freitag auf ihrer nächsten Zinssitzung nützen könnten. Und schließlich liegt die Staatsverschuldung bei gerade mal 15 % des BIP – ein Wert, von dem die meisten Staaten der Welt, vor allem die westlichen, nur träumen können.