Raffelhüschens unbequeme Welt

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 1.10.2015 Bernd Raffelhüschen muss viel einstecken, teilt aber auch aus. In seinem Referat "Demographie, Finanzmarkt und Altersvorsorge: Was war, was ist, was kommt?" schöpft der Freiburger...

Raffelhüschens unbequeme Welt

Von Dietegen Müller, FrankfurtBernd Raffelhüschen muss viel einstecken, teilt aber auch aus. In seinem Referat “Demographie, Finanzmarkt und Altersvorsorge: Was war, was ist, was kommt?” schöpft der Freiburger Finanzwissenschaftler aus dem Vollen. Auf Einladung der Sparda Bank Hessen holt er am Dienstag in Frankfurt zum verbalen Rundumschlag gegen Medien und Politik aus. Auch das Publikum, ergraute Zuhörer und einige weniger ergraute Zuhörerinnen, verschont er von seinem Rednerpult aus nicht: “Die Vergreisung würde sichtbar, wenn Sie jetzt stehen könnten.”Demografischer Wandel und die Folgen für die staatlichen Sozialsysteme beschäftigen den Forscher schon lange. Er war Mitglied der Rürup-Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme unter der rot-grünen Regierung. Und er lobt die damalige Rentenreform: Dank ihr sei die Rente, das sage er “unverblümt”, wieder sicher. Doch nur als Grundversorgung. Mit einem Niveau von 38 % des früheren Einkommens werde es nicht möglich sein, den Lebensstandard zu halten. Dass private Vorsorgeprodukte gefragt sind, liegt auf der Hand, Raffelhüschen meint es aber gut und rät: Lege nie alle Eier in einen Korb.Sein Fazit heißt aber: “Das Problem sind wir.” Es gehe nicht um ein künftiges Problem, sondern es sei bereits eingetreten, siehe steigende Lebenserwartung und anhaltend geburtenschwache Jahrgänge – “auf einem Niveau wie im Zweiten Weltkrieg”. Raffelhüschen wird fast transzendent, wenn er sagt, über die Jahrzehnte gleiche sich das Verhältnis zwischen Alten und Jungen dann aber auch in Deutschland wieder an: Sobald die Generation der heute etwa Vierzig- bis Sechzigjährigen in der Urne sei, verschwinde das Problem mit der urnenförmigen Altersstruktur – wenige Junge müssen viele Alte und Pflegebedürftige finanzieren.Aber zuerst werde die Überalterung alles auf den Kopf stellen – “warum, das lesen Sie jeden Tag in der Zeitung”, sagt Raffelhüschen. Bloß: “Was Sie in der Zeitung lesen, stimmt oft nicht.” Die Zeitung nicht zu lesen helfe, langfristige Projektionen zu machen. Viel vernünftiger sei es, das Statistische Jahrbuch zu lesen, statt die Zeitung.Und er warnt davor, von dem Zustrom an Flüchtlingen sich in irgendeiner Weise eine Erleichterung für die umlagefinanzierte Rentenversicherung zu erhoffen. Im Gegenteil würden Zuwanderer weniger als die Einheimischen in die Staatskasse einzahlen, im Alter aber höhere Transferleistungen erhalten. In Raffelhüschens Welt geht es die nächsten vierzig Jahre nicht gemütlich zu. ——–Die Überalterung ist das Problem von heute, nicht von morgen. Mehr Zuwanderung hilft nicht.——-