KOMMENTAR

Rajoy ist jetzt gefragt

Starke Polarisierung als Wahlkampftaktik liegt derzeit im Trend. Auch die katalanischen Separatisten haben erfolgreich die von Madrid einberufenen Neuwahlen am Donnerstag zu einem Protest gegen den Eingriff des Zentralstaates in der Region und zur...

Rajoy ist jetzt gefragt

Starke Polarisierung als Wahlkampftaktik liegt derzeit im Trend. Auch die katalanischen Separatisten haben erfolgreich die von Madrid einberufenen Neuwahlen am Donnerstag zu einem Protest gegen den Eingriff des Zentralstaates in der Region und zur Legitimierung der abgesetzten Regierung von Ministerpräsident Carles Puigdemont gemacht. Doch Pläne, wie die separatistischen Parteien mit ihrer wiedererrungenen Mehrheit im Parlament verfahren werden, kamen im Wahlkampf so gut wie nicht zur Sprache. Niemand weiß nun genau, wohin die Reise geht. Diese Unsicherheit belastet auch die Märkte und wird die Abwanderung von Unternehmen und Investoren aus Katalonien wohl kaum bremsen.Es ist vorerst nicht zu erwarten, dass Puigdemont und seine Mitstreiter den Unabhängigkeitsprozess wieder neu aufrollen werden. Die beiden führenden Kräfte der Separatisten, die sich in der Vergangenheit gegenseitig aufgewiegelt hatten, gelobten nun, keine einseitigen Schritte gegen die Verfassungsordnung zu unternehmen. Und die weitaus radikalere CUP ist vom Wähler von zehn auf nur noch vier Abgeordnete zusammengestutzt worden. Man kann hoffen, dass Puigdemont aus seinen Fehlern und Fehleinschätzungen gelernt hat. So mussten die Nationalisten mit großer Verbitterung feststellen, dass die erhoffte Unterstützung ihrer Sache im Ausland – die viel beschworene “Internationalisierung des Konflikts” – komplett ausblieb. Es bleibt weiterhin eine rein innerspanische Angelegenheit.Klar ist seit Donnerstag aber auch, dass irgendetwas geschehen muss. Fast die Hälfte aller Katalanen (47,5 %) entschieden sich bei einer enorm hohen Wahlbeteiligung von über 80 % für Parteien, deren erklärtes Ziel die Abspaltung ist. Sie werden sich nun kaum damit begnügen, dass die Wahlsieger einfach zum Alltagsgeschäft in Katalonien übergehen. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy steht nun in der Verantwortung. Über ein abstraktes Angebot für Gespräche hinaus hat er sich seit der Eskalation des Konflikts gar nicht auf die Katalanen zubewegt. Selbst bei seiner anfänglichen Zustimmung für eine Verfassungsreform, wie sie die Sozialisten und die liberale Ciudadanos fordern, rudert der Konservative mittlerweile wieder schleunigst zurück.Die Quittung für diese Unbeweglichkeit bekam Rajoy am Donnerstag vom Wähler serviert. Seine Volkspartei rutschte auf unter 5 % und damit nur noch drei Sitze ab. Sie verschwindet in Katalonien quasi in der Bedeutungslosigkeit. Profiteur ist Ciudadanos, die laut Umfragen auch im Rest Spaniens den Konservativen Wähler abjagt. Rajoy versuchte am Freitag nach gewohnter Manier, erst einmal Ruhe zu verbreiten, und lehnte Ideen für vorgezogene Neuwahlen in Spanien ab. Seine Minderheitsregierung steht jedoch auf wackeligen Beinen, wie die Verzögerung mangels Unterstützung beim Haushalt 2017 beweist. Um Stabilität zu schaffen, reicht nicht immer die Politik der ruhigen Hand. Manchmal muss man auch handeln.