LEITARTIKEL

Rajoys schlichte Erkenntnis

Das krisengeschüttelte Spanien wird seit gut einem Jahr vom konservativen Mariano Rajoy geführt - doch die Hoffnungen vieler Spanier auf ein schnelles Ende des wirtschaftlichen Alptraums haben sich mit diesem uncharismatischen, aber überraschend...

Rajoys schlichte Erkenntnis

Das krisengeschüttelte Spanien wird seit gut einem Jahr vom konservativen Mariano Rajoy geführt – doch die Hoffnungen vieler Spanier auf ein schnelles Ende des wirtschaftlichen Alptraums haben sich mit diesem uncharismatischen, aber überraschend schlagfertigen Politiker nicht erfüllt. Das dürfte aber niemanden wirklich verwundern: Reformen brauchen ihre Zeit, um Früchte zu tragen. Eine Zeit, die man Rajoy jedoch nicht geben will.Die Antwort auf seine Reformbemühungen sind mittlerweile fast tägliche Proteste und an Volksverhetzung grenzende Stimmungsmache der Opposition gegen seine Notstandspolitik. Dabei mangelt es Rajoy – im Gegensatz zu seinem sozialistischen Vorgänger José Luis Rodríguez Zapatero – keineswegs am Willen, alte und vom Immobilienboom lediglich verdeckte Strukturmängel zu beheben. Angesichts der immensen Schieflage im einstigen Wirtschaftswunderland Spanien können die bisherigen Maßnahmen aber nur allererste Schritte sein. Immerhin brachte der Regierungschef in kurzer Zeit eine wirklich umfassende Reform des Arbeitsmarktes auf den Weg; er stemmte die Rekapitalisierung der Banken dank eines milliardenschweren Hilfskredits der Eurogruppe; und er verschärfte – zumindest auf dem Papier – die Kontrolle über die ausgabefreudigen 17 Autonomen Regionen. Auch scheute Rajoy nicht vor unpopulären Einschnitten bei Beamtengehältern, Sozialleistungen oder dem Gesundheitsetat zurück. Das 2011 von den Sozialisten “geerbte” Staatsdefizit von 8,9 % muss schließlich unter Kontrolle kommen.Natürlich unterliefen dem Regierungschef Fehler, und einige Maßnahmen sind sehr strittig oder gehen ungerechterweise vor allem zulasten der Privatwirtschaft. Ohne eigene Währung, mit der harsche Korrekturen abgefedert werden könnten, bleibt jedoch nur der schmerzhafte Weg. Opposition und Wähler sehen allerdings nur, dass das Land noch schlechter dasteht als Ende 2011 zum Machtwechsel von sozialistisch auf konservativ. Die Arbeitslosenquote liegt mittlerweile bei 26 % der aktiven Bevölkerung – allerdings betrug sie vor Einführung des Euro auch schon 24 % mit einer hohen Zahl von Schulabbrechern und arbeitslosen Jugendlichen. Dies zeigt, auf welch prekärem Niveau Spanien damals in die Währungsunion gestartet war. Die Wirtschaft steuert 2013 auf ein weiteres Jahr der Rezession zu. Dennoch soll das Haushaltsdefizit mit Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen auf die mit Brüssel vereinbarten 4,5 % sinken.Parteiintern gilt es zwar als Rajoys große Leistung, 2012 keinen Rettungsantrag gestellt haben zu müssen. Doch da dichtet Rajoys Volkspartei Partido Popular einen Verdienst der Europäischen Zentralbank (EZB) großzügig in eigenen Erfolg um. Die Worte von EZB-Chef Mario Draghi in Sachen Euro-Rettung und präventiver Anleihenkäufe wirken immer noch Wunder. Der Risikoaufschlag auf spanische Anleihen, der 2012 zeitweise die Marke von 650 Basispunkten erreicht hatte, sank zu Jahresbeginn sogar unter 400 Basispunkte.Rajoys große eigene Leistung dürfte vielmehr die schlichte Erkenntnis sein, dass man nicht mehr ausgeben kann, als man hat. Anders als die Opposition oder so manche europäische Politiker pocht der Konservative nicht auf Krisenbewältigung durch Hineinpumpen immer neuer (EU-)Gelder in marode oder nicht mehr haltbare Wirtschaftsstrukturen. Diese Mentalität kommt auch den Euro-Partnern zugute. Doch von einem wirklichen Umbruch, einem radikalen Umkrempeln auch der boomverwöhnten Mentalität ist Spanien noch weit entfernt. Es spricht wohl Bände, wenn EU-Kommissar Joaquín Almunia seine Landsleute zu “mehr” und “effizienterem Arbeiten” aufruft. Für Deutschland ist es eine gute Nachricht, dass Spanien noch keinen Rettungsantrag gestellt hat und Rajoy mit Reformen die Wende schaffen will. Nicht wenige kritische Stimmen sehen in noch mehr EU-Krediten nur die Gefahr, dass sich der teure spanische Staatsapparat und das Wohlstandsdenken der Bevölkerung verewigen.Zumindest in einem Punkt wird Spanien aber Hilfe von außen brauchen: Selbst mit dem größten Sparwillen kann das Land nicht von der hohen privaten Verschuldung herunterkommen, die mit 1,7 Bill. Euro fast das Zweifache des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Allein sie wird die Wirtschaft auf Jahre hin weiter strangulieren. Ein Schuldenschnitt ist bisher noch kein Thema, doch er wird nötig sein. Wie er aussieht, wann er kommt, und ob Rajoy dann noch das Zepter schwingt – das ist die große Unbekannte.——–Von Angelika Engler ——- ——–Von einem wirklichen Umbruch, einem radikalen Umkrempeln auch der boomverwöhnten Mentalität ist Spanien noch weit entfernt.