Rätselraten im glorreichen Eden

Von Mark Schrörs, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.6.2019 Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang nächster Woche zu ihrer alljährlichen Konferenz ins portugiesische Sintra lädt, soll es eigentlich wieder darum gehen, dass Notenbanker und...

Rätselraten im glorreichen Eden

Von Mark Schrörs, FrankfurtWenn die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang nächster Woche zu ihrer alljährlichen Konferenz ins portugiesische Sintra lädt, soll es eigentlich wieder darum gehen, dass Notenbanker und Wissenschaftler etwas abgeschieden über grundsätzlichere und längerfristige Fragen rund um die Geldpolitik diskutieren können – jenseits der tagesaktuellen Hektik in den Hauptstädten und der Lage an den Finanzmärkten. Tatsächlich dürfte sich aber das Interesse rund um den Globus wieder stark darauf richten, welche Signale die Notenbanker dann womöglich doch für den kurzfristigen geldpolitischen Kurs senden – angesichts der zunehmenden Marktspekulationen auf Zinssenkungen von Fed, EZB & Co.Seit 2014 veranstaltet die EZB ihr Forum in der ehemaligen Sommerresidenz der portugiesischen Könige mit den dichten Wäldern, markanten Bergkuppen, märchenhaften Schlössern und Anwesen sowie dem frischen Klima. “Glorreiches Eden” taufte der englische Dichter Lord Byron Sintra im 19. Jahrhundert. Vorbild für das Forum im edlen Penha Longa Resort (Eigenwerbung: “ein atemberaubendes Luxushotel”) war und ist das alljährliche Treffen, das die US-Notenbank von Kansas City seit 1978 im Bergidyll Jackson Hole veranstaltet. Inzwischen gilt das als die wichtigste Zusammenkunft der Währungshüter. Tatsächlich nennen viele Beobachter Sintra das “europäische Jackson Hole”. Ringen um WährungsunionInzwischen ist auch Sintra fest etabliert. Das zeigt sich auch an der in diesem Jahr erneut prominenten Liste der Redner und Diskussionsteilnehmer: So reist etwa der britische Zentralbankchef Mark Carney genauso nach Portugal wie die Chefvolkswirtinnen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Industrieländerorganisation OECD, Gita Gopinath und Laurence Boone. Auch die frühere US-Notenbankchefin Janet Yellen gibt sich die Ehre. Zu den profiliertesten Ökonomen gehören Olivier Blanchard, einst IWF-Chefvolkswirt und jetzt am Peterson Institute for International Economics, und Markus Brunnermeier von der Princeton University.Das offizielle Konferenzthema lautet in diesem Jahr “20 Jahre europäische Wirtschafts- und Währungsunion”. Dabei soll der Blick laut Programm aber nicht nur zurückgehen – etwa auf die Erfahrungen aus 20 Jahren einheitliche Geldpolitik der EZB. Es soll auch um die Zukunft der Eurozone gehen – ein Thema, das hochaktuell und durchaus umstritten ist, wie die Auseinandersetzungen um ein Euro-Budget, einen Euro-Finanzminister oder mehr Risikoteilung zwischen den Euro-Ländern zeigen. In Sintra wird auch der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reden – nachdem in den vergangenen Jahren keine Politiker zu Wort gekommen sind.Mindestens beim zentralen “Policy Panel” mit EZB-Präsident Mario Draghi, Carney und Yellen, aber auch bei den vielen Flurgesprächen und den Essen dürfte es aber auch stark um die großen Rätsel und Sorgen gehen, die die Zentralbanker weltweit gerade umtreiben: Warum zieht die Inflation nicht an – trotz des jahrelangen Aufschwungs und der beispiellos lockeren Geldpolitik? Wie weit spitzen sich die Handelsstreitigkeiten weltweit noch zu – vor allem jene zwischen den USA und China? Was ist mit der Weltwirtschaft – droht tatsächlich ein baldiges Ende des Aufschwungs? Und was können die Zentralbanken im Notfall noch tun – oder eben nicht mehr?Die EZB hat erst vergangene Woche ihre Zinswende mindestens bis zur Jahresmitte 2020 verschoben und die Details für neue Geldspritzen für die Euro-Banken bekannt gegeben. EZB-Präsident Draghi betonte nach der geldpolitischen Sitzung zudem, dass die EZB bereit sei, falls nötig noch mehr zu tun – und es ihr auch nicht an Instrumenten mangele. Im EZB-Rat sei etwa über Möglichkeiten wie weitere Zinssenkungen oder eine Reaktivierung des Anleihekaufprogramms Quantitative Easing (QE) diskutiert worden, so Draghi.Zuvor hatte US-Notenbankchef Jerome Powell nach verbreiteter Einschätzung die Tür für eine baldige Zinssenkung in den USA weit aufgemacht – und damit auch die EZB unter Druck gesetzt. Pikanterweise tagt die Fed nun parallel zur EZB-Konferenz in Sintra am Dienstag und Mittwoch – weswegen auch kein amtierender US-Notenbanker anreisen wird. 2018 war Powell selbst in Sintra gewesen. Schaulaufen der KandidatenFür Draghi wird es die letzte Sintra-Konferenz als EZB-Präsident sein. Seine Amtszeit läuft Ende Oktober aus, und die Diskussion über seine Nachfolge ist in vollem Gange. All jene, die aus dem EZB-Rat als potenzielle Nachfolger gelten, sind in diesem Jahr ebenfalls unter den rund 150 Teilnehmern dabei – ob nun Bundesbankpräsident Jens Weidmann, Frankreichs Zentralbankchef François Villeroy de Galhau oder der finnische Notenbankchef Olli Rehn. Die Konferenz ist in dem Sinne also auch ein kleines Schaulaufen der möglichen Draghi-Nachfolger – und auch das wird zumindest inoffiziell ein großes Thema sein.——Beim EZB-Forum in Sintra geht es um 20 Jahre Euro. Aber das ist nicht das einzige Thema. ——