Rätselraten über türkische Geldpolitik

Neuer Zentralbankchef verspricht entschiedenen Einsatz aller Instrumente - Analysten äußern Skepsis

Rätselraten über türkische Geldpolitik

Die Türkei versucht einen personellen Neuanfang in der Geld- und Finanzpolitik. Der Notenbankchef wurde entlassen, der Finanzminister trat zurück. Zunächst einmal stoppte die Talfahrt der Lira. Doch Analysten sind skeptisch, ob der neue Gouverneur tatsächlich so entschlossen handelt, wie er es verspricht.fed Frankfurt – Seit drei Tagen geht es in der Türkei Schlag auf Schlag: Erst hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan den bisherigen Notenbankchef Murat Uysal entlassen. Wenig später warf Finanzminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn des Präsidenten, hin. Gestern Morgen dann kündigte der neue Notenbankchef Naci Agbal seine Entschlossenheit an, alle geldpolitischen Instrumente einzusetzen, um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen.Die Devisenmärkte zeigten daraufhin zunächst einmal eine deutliche Reaktion. Die seit Wochen anhaltende Talfahrt der Lira wurde erst einmal beendet. Am Montagvormittag kostete ein Dollar nur noch 8,15 Lira. Vor dem Wochenende mussten im Devisenhandel dafür noch 8,57 Lira gezahlt werden.Ob diese Trendwende allerdings nachhaltig sein wird, ist sehr ungewiss. Denn es gibt viele skeptische Stimmen, die daran zweifeln, dass der neue Gouverneur Agbal tatsächlich die Möglichkeiten hat, so entschieden zu handeln, wie er es angekündigt hat. Immerhin haben die Personalien des Wochenendes veranschaulicht, dass es um die Unabhängigkeit der Notenbank nicht gut bestellt ist. Agbal ist bereits der vierte Zentralbankchef binnen fünf Jahren.In der Amtszeit des Vorgängers Uysal hat die Inflationsrate zweistellige Prozentwerte erreicht, was den Druck auf die Landeswährung verstärkt hatte. Zudem sind die Währungsreserven der Türkei – nachdem sie zuvor sechs Jahre lang leicht rückläufig gewesen sind – im bisherigen Verlauf dieses Jahres dramatisch zusammengeschmolzen. Nur verbale ZusicherungenAn den Märkten seien die geld- und finanzpolitischen Spitzenpersonalien des Wochenendes als “Vorbote eines politischen Kurswechsels” interpretiert worden, bewertet Oxford-Economics-Chefvolkswirtin Maya Senussi die Marktreaktionen. Aber solange verbale Zusicherungen der Notenbankunabhängigkeit nicht durch entsprechende Maßnahmen unterlegt seien, könne das nicht als selbstverständlich angesehen werden, meint Senussi.Wahrscheinlich wird das Rätselraten über den künftigen geldpolitischen Kurs der Türkei bis zum 19. November anhalten. Denn in zehn Tagen steht die nächste Zinsentscheidung an. Volkswirte halten eine kräftige Anhebung des Schlüsselzinses, der aktuell bei 10,25 % liegt, für geldpolitisch geboten – die Empfehlungen reichen von einer Erhöhung um 4 bis zu einer Aufstockung um 6 Prozentpunkte.Inwieweit der neue Gouverneur Agbal den Ratschlägen internationaler Investoren folgt, ist indes noch völlig ungewiss. Der ehemalige Finanzminister gilt zwar einerseits als investorenfreundlich, andererseits aber auch als enger Gefolgsmann des Präsidenten. Nach Einschätzung der Devisenexperten der DZ Bank dürfte es Agbal nicht gelingen, “die ökonomischen Vorstellungen des Präsidenten, wonach ein niedriger Leitzins eine niedrige Inflationsrate nach sich zieht, und die Realität unter einen Hut zu bekommen”. Auch die Commerzbank äußert Vorbehalte. “Es liegt der Verdacht nahe, dass der türkische Präsident nun einen noch direkteren Zugriff auf die Geldpolitik haben möchte. Der Lira kann das nur noch mehr schaden”, meint Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. Sein Research-Kollege Tatha Ghose erläutert, dass die Commerzbank die Prognose für Dollar/Lira zum Jahresende auf 9,50 von bislang 9,00 nach oben korrigiert hat – und sich im Frühjahr sogar ein Umtauschverhältnis von 10,00 vorstellen könnte. Rücktritt des FinanzministersNeben dem Wechsel an der Zentralbankspitze gab es am Wochenende auch personelle Bewegung im Finanzministerium. Der Schwiegersohn Erdogans, Berat Albayrak, ist von seinem Posten als Finanzminister zurückgetreten. Er könne aus gesundheitlichen Gründen nicht weitermachen, begründete Albayrak diesen Schritt. Doch die Beobachter an den Märkten haben Zweifel, ob das tatsächlich der entscheidende Grund für den Rücktritt gewesen ist.