LEITARTIKEL

Reformbremse

In Italien stehen im Frühjahr 2018, nach Ablauf der Legislaturperiode, Parlamentswahlen an. Ein vorverlegter Wahltermin, wie er nicht nur vom Ex-Premier Matteo Renzi, sondern auch von der Protestbewegung M5S (Movimento 5 Stelle) ursprünglich...

Reformbremse

In Italien stehen im Frühjahr 2018, nach Ablauf der Legislaturperiode, Parlamentswahlen an. Ein vorverlegter Wahltermin, wie er nicht nur vom Ex-Premier Matteo Renzi, sondern auch von der Protestbewegung M5S (Movimento 5 Stelle) ursprünglich angepeilt wurde, ist unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass die lang diskutierte Wahlreform noch vor den Wahlen verabschiedet wird. Der Regierung von Paolo Gentiloni fehlen die nötigen Mehrheiten, um größere Reformprojekte durchzubringen. Dies gilt nicht nur für das Wahl-, sondern auch für das neue Wettbewerbsrecht. Eine Steuer- und eine Justizreform wären dringend notwendig. Erstere um die hohen Arbeitskosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern. Letztere um mehr Rechtssicherheit zu gewähren.Der am Referendum für die Verfassungsreform zu Jahresende gestrauchelte Ex-Premier Renzi ist der Beweis dafür, dass Italien nicht reformfreudig ist. Politiker, die etwas verändern wollen, haben es schwer im Land. Das werden auch künftige Regierungen feststellen müssen.Das Verfassungsgericht hatte zu Jahresbeginn einen Teil der von Renzi 2015 verabschiedeten Wahlrechtsreform mit einer Mehrheitswahl abgewiesen. Was bestehen bleibt, ist ein für die Abgeordnetenkammer und den Senat unterschiedliches Wahlsystem. Eine Angleichung der Regelung bis Frühjahr scheint ausgeschlossen. Das Gesetz sieht vor, dass eine Partei ab 40 % Stimmenanteil automatisch die Parlamentsmehrheit erhält. Sämtliche Prognosen deuten darauf hin, dass keine Partei eine Mehrheit gewinnen und das Land damit einmal mehr eine wenig stabile Regierung haben wird. Die Bildung von Koalitionen ist wahrscheinlich. Doch Modellrechnungen auf Basis aktueller Umfragewerte zeigen, dass zumindest derzeit keine denkbare Koalition große Chancen auf die Mehrheit der Parlamentssitze hätte. Weder Renzis Sozialdemokraten mit der Berlusconi-Partei als wahrscheinlichstes Bündnis noch eine Anti-Euro-Koalition aus Fünf Sternen und Lega Nord – ein wahres Schreckensszenario. Als Feuerprobe für die Parlamentswahlen und etwaigen politischen Bündnisse werden die im November stattfindenden Regionalwahlen in Sizilien gesehen.Im Herbst muss die Regierung Gentiloni das Budgetgesetz 2018 verabschieden. Nach Aussagen der Regierung sollen 12 Mrd. Euro Ausgabenkürzungen bzw. Einnahmenerhöhungen ausreichen, um das veranschlagte strukturelle Haushaltsdefizit von 1,2 % des Bruttoinlandsprodukts 2018 zu erreichen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bezeichnete in seiner letzten Prognose von Juli dieses Ziel als realistisch und korrigierte die Wachstumsprognose 2017 von ursprünglich 0,8 % auf 1,3 %. Was die mittelfristige Erholung angeht, bleibt der IWF eher skeptisch. Er erwartet 2018 bis 2020 wieder eine Abschwächung auf 1 %. Auch wenn das Wachstum im ersten Halbjahr mit 1,5 % stärker zugenommen hat als erwartet, hinkt Italien im europäischen Vergleich hinterher. Derzeit liegt das BIP immer noch 7 % unter dem Vorkrisenniveau. Die Krise hat das Wachstumsproblem allerdings nur verstärkt, präsent ist es seit langem. Bereits seit Mitte der neunziger Jahre wächst Italien langsamer als der EU-Durchschnitt. Grund dafür sind strukturelle Probleme wie die politische Instabilität, die langwierige Bürokratie und die hohe Staatsverschuldung. Der Gouverneur der italienischen Zentralbank, Ignazio Visco, gab sich in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation vorsichtig. Sollte Italien im heutigen Tempo weiterwachsen, werde das BIP erst 2025 das Vorkrisenniveau erreichen.Drei Dinge belasten Italiens Wirtschaftsentwicklung: die chronisch hohe Arbeitslosigkeit, die hohe Staatsverschuldung und die faulen Kredite. Durch die Verstaatlichung von Monte dei Paschi di Siena und den Verkauf der beiden Volksbanken aus Venetien hat die Regierung die größten Krisenherde des Systems beseitigt. Doch die Arbeitslosenquote bleibt mit 11,1 % weiter ein Problem. Erst bei einer Wachstumsrate von 2 %, so Nationalökonomen, kann die hohe Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen werden. Mit einer solchen Wachstumsrate ist jedoch vorerst nicht zu rechnen. Zudem hat Italiens Gesamtverschuldung im Juni mit 2 281 Mrd. Euro und über 133 % des BIP einen neuen Rekord erreicht. Dies engt den Handlungsspielraum der Regierung ein. Steigende Zinsen drohen das Budget schon bald wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Herausforderungen sind enorm. Doch die politische Situation bleibt konfus. ——–Von Thesy Kness-BastaroliDie politische Unsicherheit droht in Italien nicht nur die dringend nötigen Reformen zu bremsen, sondern stellt auch die Wirtschaftserholung in Frage.——-