LEITARTIKEL

Reformkurs mit Irrungen

Chinas Regierungschef Li Keqiang hat auf dem Nationalen Volkskongress kein Blatt vor den Mund genommen. Das chinesische Wachstumsmodell zeigt sich dem Premier zufolge von großer Ineffizienz geprägt. Dem ist nur mit einem beschleunigten Reformkurs...

Reformkurs mit Irrungen

Chinas Regierungschef Li Keqiang hat auf dem Nationalen Volkskongress kein Blatt vor den Mund genommen. Das chinesische Wachstumsmodell zeigt sich dem Premier zufolge von großer Ineffizienz geprägt. Dem ist nur mit einem beschleunigten Reformkurs beizukommen. Die Knackpunkte sind wohlbekannt. Sie reichen von der mangelnden Innovationsfähigkeit bei Staatsbetrieben und Überkapazitätsproblemen in der Schwerindustrie über den noch viel zu stark abgeschotteten Finanzsektor bis zu gewaltigen Modernisierungsdefiziten in der Landwirtschaft.Die Schwächen des chinesischen Wirtschaftsmodells werden in der andauernden Phase einer latenten Konjunkturabkühlung immer sichtbarer, und die bewährten Methoden, das Wirtschaftswachstum durch Infrastrukturoffensiven und eine flotte Baukonjunktur auf optisch ansprechenden Expansionsraten jenseits von 8 % zu halten, ziehen nicht mehr. Vor diesem Hintergrund verspricht die chinesische Regierung einen forcierten Reformkurs mit dem Ziel einer verstärkten Marktorientierung sowie der Sicherung eines nachhaltigeren Wachstums, das stärker vom privaten Konsum als von staatlichen Investitionsprogrammen getragen wird. Solche Beteuerungen sind freilich fester Bestandteil eines chinesischen Volkskongresses als jährlichem Exerzitium, auf dem sich die Machthaber ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorhaben feierlich absegnen und sich im Amt bestätigen lassen.Der Volkskongress ist dennoch ein wichtiger Anlass für eine Standortbestimmung und gibt den Startschuss für die Umsetzung neuer Reformvorhaben. Aus den zahlreichen Plenumssitzungen des zehntägigen Kongresses ragen zwei Initiativen für den wirtschaftlichen Reformkurs hervor.Zum einen scheint die Regierung die bislang im Schneckentempo vorangegangene Zinsliberalisierung tatsächlich forcieren zu wollen. Damit könnte bis zum Jahresende eine völlige Aufgabe der Schranken für die Zinsbildung auf Kundeneinlagen vollzogen werden. Dies gilt als ein wichtiger Beitrag zu einer Lockerung der finanziellen Repression, die zu einer Mobilisierung von Sparkapital für Konsumzwecke beitragen soll. Sie stellt aber gleichzeitig ein Gefahrenmoment dar für weite Teile der chinesischen Kreditwirtschaft, die von einem freien Wettbewerb um Einlagengelder und Zinstransformationsrisiken überlastet werden könnten, dem die Regierung mit der Schaffung eines Einlagensicherungssystems zu begegnen gedenkt.Die zweite große Initiative ist eine beherztere Reform bei den breite Ausschnitte der Wirtschaft dominierenden, aber von Effizienzproblemen strotzenden Staatsunternehmen. Auf dem Volkskongress wurde unter dem Motto “Made in China 2025” eine neue Qualitätsoffensive ausgerufen. Es geht um industriepolitische Ambitionen, abseits der Billiglohn- und Massenfertigung von Konsumgütern mit anspruchsvolleren Technologien und einem gehobenen Qualitätsanspruch wie auch einem neuen Markenimage auf dem Weltmarkt zu punkten. Die Jahreszahl 2025 deutet bereits an, dass es sich um einen langen Marsch handelt. Die Frage ist aber, wie man den jahrelang mit Subventionen und günstigen Krediten hochgepäppelten und von einem echten Wettbewerb abgeschotteten Staatskonzernen ein neues Effizienzdenken einimpft.Erste sinnvolle Ansätze bestehen in der vorsichtigen Öffnung von Monopolen, der stärkeren Einbindung von privatem Kapital bei Tochterunternehmen der Staatsholdings sowie neuen Vergütungsmodellen zum Setzen von Leistungsanreizen auf der Managementebene. Im Versuch, Global Champions heranzuzüchten, scheint die Regierung allerdings einen wesentlich bedenklicheren Weg zu gehen, sie versucht nämlich, Fusionen zu erzwingen. Ein erster großer Streich ist bereits mit der behördlich verordneten Verbindung der Eisenbahngesellschaften CNR und CSR, der Hersteller der chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge, geschehen. Die Fusion unterliegt der Ratio, Preiswettbewerb und rivalisierende Projektofferten chinesischer Staatskonzerne zu verhindern, führt aber gleichzeitig zur Ausschaltung von Wettbewerb im Binnenmarkt und der Verstärkung von Monopolstellungen, die sich schlecht mit dem Ziel von Innovations- und Qualitätsförderung vereinbaren lassen. Sollte dieses Modell Schule machen – es gibt bereits Anzeichen dafür, dass Planspiele für weitere Großfusionen in der Schublade der Behörde für die Verwaltung von Staatsbeteiligungen liegen -, befindet sich Peking auf einem gefährlichen Irrweg.——–Von Norbert HellmannChinas Volkskongress bringt neue Reformvorhaben: In Sachen Zinsliberalisierung ist man auf gutem Wege, aber bei der Reform der Staatsunternehmen hapert es.——-