Regierung passt Arbeitsschutz an

Zusätzliche Hygieneregeln sollen Ende des Lockdown ermöglichen - Kritik an vorsichtigen Lockerungen

Regierung passt Arbeitsschutz an

Ab Anfang nächster Woche können Geschäfte bis 800 Quadratmeter wieder öffnen. Damit die Beschäftigten besser vor dem Coronavirus geschützt sind, hat die Regierung neue Hygieneregeln beschlossen. Doch der Arbeitsschutz hängt nicht von der Größe der Verkaufsfläche ab, monieren Wirtschaftsverbände. sp Berlin – Die Bundesregierung passt die geltenden Arbeitsschutzstandards in Betrieben an die Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie an. Es gehe um das gemeinsame Interesse an einem schrittweisen Wiederhochfahren des Wirtschaftslebens, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Donnerstag in Berlin. Das Kabinett habe dazu bundesweit einheitliche und verbindliche Arbeitsschutzregeln beschlossen. Konkret handele es sich um zehn Hygienemaßnahmen, darunter verbindliche Abstandsregeln und Vorgaben zum Einsatz von Desinfektionsmitteln.Nach dem Bund-Länder-Beschluss für eine schrittweise Öffnung von Geschäften ab der kommenden Woche werden auch viele Beschäftigte an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Die zusätzlichen Schutzmaßnahmen sollten “den Menschen die notwendige Sicherheit geben, ihre Arbeit wiederaufzunehmen”, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Stefan Hussy, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Eckpunkte würden von branchenspezifischen Berufsgenossenschaften angepasst. “Das ist die Latte, die jeder überspringen muss, wenn er seinen Betrieb aufmachen will”, sagte Hussy. Viele Branchen haben laut Heil bereits detaillierte Vorkehrungen zum Schutz vor einer Ansteckung von Beschäftigten und Kunden getroffen. Hussy zufolge werden in Abstimmung mit dem Friseurhandwerk derzeit Empfehlungen ausgearbeitet, wie sie ab dem 4. Mai ihre Geschäfte wieder aufschließen können.Einzelhändler mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmeter, der Kfz- und Fahrradhandel sowie Buchläden können nach den Beschlüssen von Bund und Ländern bereits Anfang der nächsten Woche unter strengen Auflagen öffnen. Das stößt bei den betroffenen Branchen auf Kritik. Der Handelsverband HDE monierte mit Blick auf die Obergrenze von 800 Quadratmetern, dass Abstands- und Hygieneregeln sowohl in kleinen als auch in großen Geschäften eingehalten werden können, und warnte vor Wettbewerbsverzerrungen. Die Möbelindustrie wertete das Flächenlimit als unschlüssig. Hotels und Gaststätten kritisierten, dass sie von der Öffnung gänzlich ausgenommen wurden, und warnten vor einer Pleitewelle.Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sprach von einer “gewissen Enttäuschung”, weil viele Branchen und Teile des Handels sich eine schnellere und klarere Perspektive zur Wiedereröffnung ihrer Läden gewünscht hätten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die ersten vorsichtigen Lockerungen für einige Wirtschaftszweige zwar, kann sich aber ebenfalls keinen Reim auf die 800-Quadratmeter-Grenze machen. Die “klaren Entscheidungen” zur Öffnung seien aber grundsätzlich positiv zu bewerten, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf. Nun gebe es einen verbindlichen Fahrplan.Die Bundesregierung verteidigte am Donnerstag die Beschlüsse. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wies darauf hin, dass die Lockerungen weit über das hinausgehen, was der Nachbar Österreich bisher beschlossen hat. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) trifft sich heute mit den Spitzen von HDE, DIHK und BDI und dürfte für die Strategie der Regierung werben. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird am Freitag zusammen mit Gesundheitsexperten wie dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, eine aktuelle Einschätzung zur Entwicklung der Pandemie abgeben, die ebenfalls Argumente für die vorsichtigen Lockerungen enthalten dürfte.Die meisten Landesregierungen werden erst heute Verordnungen zur Umsetzung der Lockerungen beschließen. Hintergrund sind Unsicherheiten, wie sich ein nach Größe differenziertes Vorgehen rechtlich begründen lässt und ob Einkaufszentren oder Passagen mit vielen kleinen Geschäften öffnen dürfen. Ein Rundblick zeigt, dass die Beschlüsse unterschiedlich ausgelegt werden: Niedersachsen ist bislang offen dafür, Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern öffnen zu lassen, wenn diese ihre Verkaufsfläche entsprechend reduzieren. Berlin wollte prüfen, ob dies auch für Kaufhäuser gelten sollte. Nordrhein-Westfalen lehnt das ab, wollte aber die Öffnung von Möbelmärkten gestatten. Das Saarland und Bayern untersagten die Öffnung von Einkaufsmalls. Schweiz lockert ab 27. AprilBayern und Thüringen wollen den Einzelhandelsgeschäften erst ab dem 27. April wieder den Geschäftsbetrieb erlauben. Das ist auch der Termin, für den die Schweiz erste Lockerungen angekündigt hat. Zunächst sollen Baumärkte, Gartencenter, Blumenläden und Gärtnereien öffnen sowie Betriebe mit personenbezogenen Dienstleistungen wie etwa Friseure ihren Betrieb aufnehmen.