Renzi lässt Italiens Regierung platzen
Italiens Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte ist auseinandergebrochen. Nach letzten Versuchen, den Bestand der Koalition zu retten, kündigte Ex-Premierminister Matteo Renzi, Chef der Kleinstpartei Italia Viva, am Mittwochabend den Rückzug seiner Ministerinnen aus der Regierung an.bl Mailand – Die italienische Regierungskoalition ist auseinandergebrochen. Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi kündigte der Regierung seine Unterstützung auf, indem er die beiden Ministerinnen seiner Kleinstpartei Italia Viva aus der Regierung abzog. Der parteilose Premierminister Giuseppe Conte hat nun keine Mehrheit im Parlament mehr. Die anstehende Phase der Unsicherheit könnte in Neuwahlen gipfeln.Die Krise hatte sich seit Wochen abgezeichnet. Letzte Bemühungen um eine Einigung waren am Mittwochnachmittag gescheitert. Nachdem Staatspräsident Sergio Mattarella Conte empfangen hatte, forderte er die Parteien auf, “die Unsicherheit angesichts der alarmierenden Entwicklung der Pandemie so schnell wie möglich zu beenden”. Auch Conte bemühte sich um eine Einigung in letzter Minute und ein Treffen der Chefs der vier Regierungsparteien.Zu den möglichen Szenarien gehören nun neben Neuwahlen auch eine Regierungsumbildung, eine Technokratenregierung, womöglich unter Führung von Ex-EZB-Chef Mario Draghi, oder eine Regierung unter einem neuen Premierminister bzw. wieder unter Conte. Interesse an Neuwahlen hat keine der Regierungsparteien: Allen Umfragen zufolge würde daraus die rechte Opposition unter Führung von Lega-Chef Matteo Salvini siegreich hervorgehen.Renzi schloss ein Bündnis seiner Partei mit der rechten Opposition aus. Er begründete den Rückzug aus der Regierung damit, dass Conte seit Monaten auf undemokratische Weise unter teilweiser Ausschaltung des Parlaments mit Dekreten regiere sowie trotz der dramatischen Folgen der Pandemie und der katastrophalen wirtschaftlichen Lage keine Strategie für die Zukunft des Landes habe. Außerdem sei es “unverantwortlich”, dass Rom auf 36 Mrd. Euro an Krediten aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Sanierung des Gesundheitswesens verzichte. Nach Renzis Ansicht ist viel zu viel Zeit verloren gegangen mit Maßnahmen, die Ausdruck einer Klientelpolitik seien. Damit drohe die einmalige Chance verspielt zu werden, die das Europäische Wiederaufbauprogramm für Italien biete. Dieses “Opportunitätsfenster” schließe sich bald. Renzi zeigte sich bereit, über alles zu diskutieren und sinnvolle Maßnahmen wie die Verschärfung der Restriktionen im Kampf gegen die Pandemie oder glaubhafte und sinnvolle Maßnahmen zu unterstützen.In der Sache hat Renzi mit seiner Kritik durchaus recht. Allerdings hat er mit seinem erratischen Auftreten, seinem starken Ego und vielen Volten in den letzten Jahren auch viele frühere Unterstützer verärgert. Auf sein Betreiben hin hat die Regierung ihre Pläne für die Verwendung der Mittel aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm, aus dem Italien 209 Mrd. Euro an Zuschüssen und Krediten erhalten soll, stark überarbeitet. Statt in Subventionen und vielerlei Hilfen für einzelne Gruppen soll das Geld nun zu 70 % in Investitionen fließen. Die vorgesehenen Mittel für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Gesundheit wurden kräftig aufgestockt. Das erkannte Renzi in seiner Pressekonferenz am Mittwochabend an. Doch es blieben offene Punkte wie die fehlenden Reformen von Justiz und Verwaltung, so der Ex-Ministerpräsident – und eben die Nichtannahme der Kredite aus dem ESM, die vor allem die 5-Sterne-Bewegung ablehnt.Conte könnte versuchen, neue Mehrheiten im Parlament zu finden. Offenbar gab es zuletzt im Hintergrund Gespräche mit Teilen der Berlusconi-Partei Forza Italia. Einige Abgeordnete und Senatoren der Partei könnten zur Regierung überlaufen – womöglich mit stillschweigender Duldung von Ex-Premier Silvio Berlusconi, dem die Regierung kürzlich mit einem auf dessen Medienkonzern Mediaset zugeschnittenen Gesetz entgegenkam.Die Krise kommt zur Unzeit. Die Coronavirus-Zahlen in Italien steigen, die Restriktionen werden verschärft und für die nächsten Tage ist ein neuer Nachtragshaushalt geplant. Sollte es ein Machtvakuum geben, dürfte Brüssel die Auszahlung von Mitteln aus dem Wiederaufbauprogramm erst einmal aussetzen.