TRUMP ERSCHÜTTERT DIE ÖKONOMISCHE WELTORDNUNG (16): Einwanderungspolitik

Republikaner und Demokraten in seltener Eintracht

Einhellige Sorge vor verheerenden Folgen von Ausweisungen und Einreisebeschränkungen

Republikaner und Demokraten in seltener Eintracht

Von Peter De Thier, WashingtonSeit Donald Trumps Wahlsieg im vergangenen November tobt unter führenden US-Ökonomen eine lebhafte Debatte über die wirtschaftlichen Folgen der Steuer- und Haushaltspolitik unter dem republikanischen Präsidenten. In einem Punkt hingegen herrscht unter Experten jeder politischen Couleur seltene Eintracht: Ob Volkswirte sich nun eher dem sozialstaatlichen Liberalismus unter dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama oder Trumps Präferenzen für Steuersenkungen, Deregulierung und eiserne Sparmaßnahmen verschrieben fühlen, fast alle meinen, dass massenhafte Abschiebungen und restriktive Einwanderungsbestimmungen der Wirtschaft schaden werden. Populistische ParolenWährend des Wahlkampfes ebenso wie in seiner Rolle als 45. Präsident hat Trump versucht, mit populistischen Parolen die ökonomische Realität zu kaschieren. Die “America First”-Doktrin bedeute unter anderem, dass illegal in den USA lebende und arbeitende Ausländer ausgewiesen werden müssten. Die Nation und somit die besten Jobs müssten US-Bürgern sowie jenen Ausländern vorbehalten sein, die sich an die Spielregeln hielten, über die notwendigen Papiere verfügten und langfristig auch planten, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen.In der Tat hat er den Mauerbau entlang der mexikanischen Grenze bereits in Auftrag gegeben. Auch hat sich die Zahl der Festnahmen deutlich beschleunigt. Zudem hat Trump per Dekret die Ressourcen der Einwanderungsbehörde und des Grenzschutzes deutlich aufgestockt. Folglich ist die Zahl der Grenzbeamten markant gestiegen, und sogenannten “sanctuary cities”, also Städten, die sich weigern, illegale Zuwanderer zu melden oder auszuliefern, will er Zuschüsse aus Washington streichen. Bei Town-Hall-Begegnungen mit seinen Stammwählern werden die reißerischen Parolen des Präsidenten mit Ovationen quittiert.Sieht man allerdings von diesen weniger als 40 % der US-Wähler einmal ab, dann hat sich der überragende Konsens durchgesetzt, dass Zwangsausweisungen auf breiter Front das Wirtschaftswachstum drücken, die Erholung am Arbeitsmarkt abwürgen und den Fiskus um dreistellige Milliardeneinnahmen bringen würden. Offener BriefSo gesehen ist es kein Wunder, dass sich kürzlich 1 500 führende Ökonomen mit einem offenen Brief an den Präsidenten wandten. Der Tenor des Aufrufs an Trump: Amerikas bisher relativ liberale Einwanderungspolitik stelle einen der bedeutendsten Wettbewerbsvorteile für die US-Wirtschaft dar. Unter den Verfassern befanden sich nicht weniger als sechs Nobelpreisträger. Noch aussagekräftiger aber: Sowohl linksliberale Volkswirte, die unter Obama dienten, als auch konservative Nationalökonomen, die unter George W. Bush und anderen Republikanern arbeiteten, schlossen sich dem eindringlichen Appell an. “Einwanderung ist nicht nur gut für die Wirtschaft”, meinte der ehemalige Bush-Berater Douglas Holtz-Eakin, der heute den konservativen Thinktank American Action Forum leitet, “sie ist eine absolute Notwendigkeit”.Die Argumente beziehen sich zum einen auf den negativen Beschäftigungseffekt, auf den keine Geringere als US-Notenbankchefin Janet Yellen hinwies. Das Thema ist ihr ein so wichtiges Anliegen, dass Yellen sogar vor dem Kongress einen seltenen Ausflug in die einwanderungspolitische Debatte wagte. Sie nannte im Februar den Mangel an Arbeitskräften sowie geringe Produktivitätssteigerungen als Hauptgründe für die anhaltend niedrigen Wachstumsraten in den USA. Folglich würde eine insgesamt deutlich geringere Zahl von Einwanderern “dazu führen, dass auch die Wirtschaft langsamer wächst”, meinte die oberste Währungshüterin.Das liberal geneigte Forschungsinstitut Center for American Progress versieht die Prognosen sogar mit konkreten Zahlen. In einer Studie, die kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde, der aber dieselben Annahmen zugrunde liegen, die nun auch Gegenstand von Trumps Plänen sind, zeichnet der Thinktank düstere Szenarien. Würden 7 Millionen Menschen, die ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in den USA leben, des Landes verwiesen, würde die Zahl der Beschäftigten wieder auf das Niveau während der Weltrezession fallen. Investitionen in GefahrZu erwarten wäre demnach, dass in den am stärksten betroffenen Branchen, unter anderem der Landwirtschaft, deutlich weniger investiert wird. Geringere Investitionstätigkeit würde zudem einen Ansteckungseffekt entfalten und auf andere Branchen übergreifen. Auch wären die Konsequenzen für den Privatkonsum, der fast 70 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und sinken würde, deutlich spürbar. Bis 2026 fiele das kumulative Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,7 Bill. Dollar geringer aus, als wenn der Status quo beibehalten würde. Die Wachstumsrate würde sich nach Ansicht des Instituts kurzfristig um 1,4 Prozentpunkte und langfristig um 2,6 Prozentpunkte verringern. Zudem würden dem Finanzamt über zehn Jahre 900 Mrd. Dollar an Steuereinnahmen entgehen.Während das Weiße Haus Studien wie diese als politisch motiviert oder “fake news” zurückweist, warnen aber auch konservative Organisationen vor den ökonomischen Folgen. Ein Bericht des Washingtoner Cato Institute befasst sich konkret mit sogenannten Daca-Einwanderern, die auf knapp 800 000 geschätzt werden. Bei ihnen handelt es sich um Personen, die als Kinder ohne eigenes Verschulden von ihren Eltern illegal ins Land gebracht wurden. Obama gewährte den sogenannten “Dreamers” vorübergehende Amnestie, die sie vor der Zwangsausweisung schützen soll. Obwohl Trump sich hierzu widersprüchlich geäußert hat, neigt er dazu, den Daca-Schutz wieder aufzuheben. Laut Cato würde dies während der kommenden zehn Jahre die Wirtschaftsleistung um 280 Mrd. Dollar senken. Experten fehlenKritisch stehen der neuen Einwanderungspolitik auch Trump-Loyalisten ebenso wie führende IT-Firmen gegenüber. BlackRock-CEO Larry Fink etwa weist darauf hin, dass die feindliche Stimmung bereits dazu geführt habe, dass “die Aufnahmeanträge ausländischer Studenten an US-Universitäten um bis zu 40 % gesunken sind”. Unter ihnen befinden sich potenzielle Unternehmensgründer und Führungskräfte, die laut Fink unverzichtbar sind, falls Trump sein Wahlversprechen, die USA wieder an die Spitze zu führen, also “Make America great again”, einlösen und tatsächlich in die Praxis umsetzen will.In Silicon Valley wird zudem bemängelt, dass Arbeitsvisa für die besten IT-Experten aus Europa und Asien gekürzt werden. Ihnen gingen damit wertvolle personelle Ressourcen verloren, die den USA helfen, ihre Vorreiterrolle in der Tech-Industrie zu behaupten. Wie gehabt bleibt der Präsident aber stur und will um jeden Preis plakative Wahlversprechen einlösen, selbst wenn diese wegen der ökonomischen Konsequenzen selbst bei ihm wohlgesinnten Experten auf breite Ablehnung stoßen.—-Zuletzt erschienen:- Teil 13: Neues System für die Unternehmensbesteuerung (7.4.)- Teil 14: Die Wirtschaft hält mit der Politik nicht Schritt (11.4.)- Teil 15: Eine Wirtschaft frei von staatlichen Fesseln (13.4.)