ANSICHTSSACHE

Resiliente Ökosysteme statt krisenanfällige Lieferketten

Börsen-Zeitung, 18.12.2020 Beim Thema Lieferketten ging es in der Vergangenheit oft nur um eins: effiziente und kostenoptimale Prozesse. Dann kam Covid-19 und zeigte mit aller Härte, wie reformbedürftig dieser Ansatz ist. Einigen Unternehmen...

Resiliente Ökosysteme statt krisenanfällige Lieferketten

Beim Thema Lieferketten ging es in der Vergangenheit oft nur um eins: effiziente und kostenoptimale Prozesse. Dann kam Covid-19 und zeigte mit aller Härte, wie reformbedürftig dieser Ansatz ist. Einigen Unternehmen entglitt zu Beginn der Krise immer wieder die Kontrolle über ihre Wertschöpfung; sie hatten mit Blick auf die Kosten nur noch auf wenige Lieferanten und damit Produktionsländer gesetzt. Wenn aber Grenzen schließen und Dienstleister in weiten Teilen der Welt ihren Betrieb einstellen, wird eine solche Begrenzung zum Problem – selbst wenn die Logistik vorher zuverlässig funktioniert hat. Schlagartig war im Frühjahr der Einkaufspreis häufig zweitrangig, es ging vielerorts vor allem um die Liefersicherheit. Im Pharma-Bereich konnten wir das besonders deutlich beobachten: Hier sind die Lieferketten oft von China oder Indien abhängig; als dort die Lieferungen in andere Länder der Welt gestoppt wurden, kam es bei uns zu erheblichen Engpässen. Gerade bei Medikamenten ist so ein Ausfall fatal.Wir müssen also umdenken: weg von der Einkaufspreisbetrachtung im Sinne von Single Source, Best Cost Country oder Just-in-Time-Optimierung, hin zur vollständigen und nachhaltigen Betrachtung der Lieferketten. Das heißt: Die Aspekte Cost, Growth, Risk and Trust müssen Teil dieser Betrachtung werden. Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigen eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen. Sie haben schon vor längerer Zeit in die digitale Transformation ihrer Lieferketten investiert und sind deshalb sehr gut durch die Krise gekommen. Wir nennen diese Unternehmen Digital Supply Chain Champions und haben sie in unserer PwC-Studie Vernetzte und autonome Supply-Chain-Ökosysteme 2025 analysiert. Es zeigt sich, dass sie sich gedanklich vom Bild der klassischen Lieferkette verabschiedet haben und ihre Wertschöpfung eher in organischen Netzwerken denken: als kognitives Ökosystem. Flexibel, dynamisch und resilient.Mit Hilfe digitaler Technologien werden Unternehmen in solchen Netzwerken direkt mit ihren Partnern verknüpft – beispielsweise mit Lieferanten und Transportdienstleistern, aber auch mit Kunden. Basis hierfür sind ein synchronisiertes Datennetzwerk und vernetzte Prozesse, mit denen die Partner nicht nur kollaborieren können, sondern auch simultanen Zugriff haben auf relevante Informationen, zum Beispiel Bestellungen, Lieferungen oder Kapazitäten. Gemeinsam entsteht hier ein transparentes Ökosystem: In Echtzeit erfahren alle beteiligten Parteien, was im Wertschöpfungsprozess gerade geschieht und wo sie gegebenenfalls eingreifen müssen, um die Prozesse zu optimieren. Transparenz und KIUnsere Studie hat gezeigt, dass diese digitalen Champions vor allem in drei logistischen Bereichen überzeugen: Sie sind systemisch hochgradig transparent, haben die Volumenflexibilität deutlich verbessert und managen erfolgreich ihre Profitabilität. Das verschafft ihnen ein höheres Maß an Resilienz und damit einen klar messbaren Wettbewerbsvorteil: Entlang ihrer Wertschöpfungskette sparen sie 6,8 % der Kosten und steigern ihren Umsatz um 7,8 %. Durch erhöhte Verlässlichkeit steigern sie die Zufriedenheit ihrer Kunden und das Vertrauen in ihr Unternehmen.Dank der umfassenden Transparenz lassen sich ethische Standards oder auch gesetzliche Vorgaben viel einfacher anwenden und kontrollieren. Auf diese Weise können Lieferketten leicht nachhaltiger werden, denn die inkrementelle Verbesserung ist natürlich nicht nur logistisch möglich, sondern auch auf sozialer und politischer Ebene.Eine Schlüsselrolle in der Optimierung von Lieferketten und einer entsprechenden Umstellung auf einen ökosystemischen Ansatz übernimmt schon heute die künstliche Intelligenz (KI). Denn damit Netzwerke funktionieren, müssen die verfügbaren Daten in Echtzeit analysiert und verwertet werden; es muss möglich sein, Ressourcen schnell dorthin zu transferieren, wo sie benötigt werden. Lernfähige Algorithmen sind dazu in der Lage.Bei vielen der untersuchten Unternehmen sorgen KI-gestützte Automatisierungstechnologien dafür, dass aus einer einfachen Prozesskette ein selbstlernendes und eigenständig handelndes System wird. Mit solchen kognitiven Systemen ist es zum Beispiel möglich, einen digitalen Zwilling der eigenen Wertschöpfung zu entwerfen: Eine virtuelle Umgebung, in der das Verhalten des Netzwerks unter bestimmten Bedingungen durchgespielt wird. Als Simulation und Vorbereitung für den Ernstfall.Unterm Strich sorgt eine Transformation der Lieferketten zu einem Ökosystem also für viele Vorteile. Risikopotenziale lassen sich minimieren und Flexibilität, Effizienz wie Profitabilität steigern. Alles Faktoren, die das Wachstum positiv beeinflussen. Denn auch wenn Kosten nicht mehr allein im Fokus des Supply-Chain-Managements stehen, freuen sich am Ende trotzdem alle Beteiligten, wenn sich Nachhaltigkeit auch positiv in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung auswirkt. Dr. Ulrich Störk ist Sprecher der Geschäftsführung von PwC Deutschland. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Ulrich StörkDie Lehre aus der Covid-19-Pandemie: “Cost, Growth, Risk and Trust” müssen Teil einer neuen Betrachtung der Lieferketten werden. —