SORGEN UM DIE DEUTSCHE KONJUNKTUR

Rezession steht derzeit nicht an

Konjunkturampel springt trotz anhaltender Industrieflaute auf Grün - Binnennachfrage boomt

Rezession steht derzeit nicht an

Obwohl die deutsche Industrie seit längerem schwächelt, gibt es viele gute Gründe, warum der Gesamtwirtschaft entgegen dem typischerweise üblichen Verlauf nicht zwingend ein schwerer Abschwung droht. Laut der Konjunkturampel ist das Rezessionsrisiko gesunken, so dass das Signal auf Grün umgesprungen ist. Von Alexandra Baude, FrankfurtDas Jahr 2019 war für die deutsche Wirtschaft nicht eben erfolgreich: Im vierten Quartal stagnierte das Wachstum, was Ökonomen angesichts der zahlreichen globalen Risikofaktoren und der anhaltenden Industrieflaute schon als positive Nachricht werteten (vgl. BZ vom 15. Februar). Für das Gesamtjahr vermeldete das Statistische Bundesamt ein mageres Plus von 0,6 %. Und obwohl mit dem Ausbruch des Coronavirus ein weiterer unberechenbarer Risikofaktor neu hinzugekommen ist, ist die Konjunkturampel, die Kiel Economics für die Börsen-Zeitung berechnet, auf Grün gesprungen. Kiel Economics, eine Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), errechnet dafür auf Basis von mehr als 50 erwartungsbasierten Indikatoren die Wahrscheinlichkeit, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie etwa zuletzt 2008/2009 befindet. Kein ehernes GesetzDass der Ampelwert für 2020 von 49 % im November auf 21 % gesunken ist und damit “schon wieder grünes Licht für die Konjunktur gibt, wenn auch verhalten”, mag überraschen, wie Institutschef Carsten-Patrick Meier kommentiert. Denn die Industrie steckt in der Rezession – im Schlussquartal 2019 fiel die Bruttowertschöpfung im produzierenden Gewerbe (ohne Bauhauptgewerbe) zum sechsten Mal in Folge niedriger aus als im Quartal zuvor. Seit 1966 seien sämtliche gesamtwirtschaftlichen Rezessionsphasen mit einer Industrierezession einhergegangen beziehungsweise von dieser eingeläutet worden, erklärt Meier. In den Jahren 1971, 1987, 1996 und 2013 allerdings ist die Bruttowertschöpfung der Industrie zwar ebenfalls zurückgegangen – wenn auch nicht so kräftig wie 2019 -, doch gelten diese nicht als Rezessionsjahre. Dabei sei aber die – auch unabhängig vom Coronavirus – immer noch relativ hohe Unsicherheit der Schätzung in Rechnung zu stellen, die sich durch die breiten Konfidenzintervalle ausdrückt, wie Meier mahnt (siehe Grafik). Umfragen sind LichtblickDass das Risiko am aktuellen Rand zurückgegangen ist, liegt laut Meier maßgeblich an der Stabilisierung der vorausschauenden Umfragedaten, “zumal sich diese nicht auf Deutschland beschränkt, sondern auch für die wichtigsten Handelspartner gilt”. So haben sich die Geschäftserwartungen der Unternehmen im Januar 2020 mit dem vierten Plus in Folge nach zwei Jahren fast ununterbrochenen Rückgangs weiter stabilisiert. Auch die aktuelle Lage wird derzeit nur wenig ungünstiger eingeschätzt als im Mittel der Jahre 2010 bis 2015, die der konjunkturellen Beschleunigungsphase von 2016 bis 2018 vorausgingen. Weiter hoch gemessen an der Streuung der Geschäftserwartungen ist allerdings die Unsicherheit in den Unternehmen hinsichtlich der Absatz- und Ertragserwartungen. Diese liegt Meier zufolge weiter auf einem Niveau, das typisch ist für eine Rezession. Zur Stabilisierung beigetragen haben nach allgemeiner Expertenmeinung das Phase-1-Abkommen im US-chinesischen Handelsstreit und das Ende der Hängepartie um den Brexit.Unverändert läuft die Entwicklung der Konjunktur hierzulande zweigeteilt: “Während der Außenbeitrag bröckelt, boomt die Binnennachfrage weiter”, konstatiert Meier. Und das werde sich gemessen an den vorlaufenden Indikatoren, die teilweise auch direkt in die Konjunkturampel eingehen, so rasch nicht ändern. Der Auftragsbestand im Wohnungsbau ist ebenso wie die Bauproduktion nach wie vor auf einem Rekordhoch. Stimulierend wirken hier nach wie vor die ultraniedrigen Zinsen. Laut der jüngsten GfK-Umfrage liegen die Anschaffungsneigung und die Einkommenserwartung der Konsumenten weiter auf sehr hohem Niveau. Rückenwind kommt hier vom anhaltend robusten Arbeitsmarkt, wenn auch die Dynamik zuletzt immer stärker nachlässt. Durchschnittlich wurden allerdings im vergangenen Jahr monatlich immerhin noch mehr als 20 000 Arbeitsplätze geschaffen. Da die Reallöhne weiter anziehen und die Inflation niedrig ist, halten auch die Einkommenszugewinne an. “Insofern gibt es tatsächlich gute Gründe, warum der deutschen Wirtschaft trotz Industrieflaute vorerst eine Rezession erspart bleiben könnte”, konstatiert Meier.Allerdings steigen derzeit zunehmend die Sorgen, welche Auswirkungen der Ausbruch des Coronavirus auf die Wirtschaft hat (siehe nebenstehenden Bericht). Weitere Hinweise, nachdem die Sentix-Konjunkturerwartungen im Januar moderat nachgegeben haben, versprechen sich Ökonomen von der heute zur Veröffentlichung anstehenden Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Erwartet wird, dass die ZEW-Konjunkturerwartungen um 6,7 auf 20,0 Punkte nachgeben. Beim GfK-Konsumklima, das am Donnerstag bekannt gegeben wird, wird ein Minus um 0,1 auf 9,8 Punkte prognostiziert. Und auch bei der Erstschätzung der Einkaufsmanagerindizes, die IHS Markit am Freitag vorlegt, wird ein vorübergehender Dämpfer sowohl in der Industrie als auch bei den Dienstleistern erwartet.Institutschef Meier kann sich auch vorstellen, dass wegen des Coronavirus “die Konjunkturprognosen reihenweise massiv nach unten revidiert werden”. Aller Erfahrung nach würden solche “Event”-getriebenen Prognosen viel zu pessimistisch ausfallen. Er verwies auf die von Daniel Kahnemann aufgestellte “Verfügbarkeitsheuristik”, gemäß der selektiv nur die leicht verfügbaren Informationen berücksichtigt werden.