Risiko globaler Handelskrieg

WTO-Treffen zwischen Liberalisierung und Protektionismus - Ökonomen: Verteilungseffekte ernst nehmen

Risiko globaler Handelskrieg

Von Julia Wacket, FrankfurtDie Weltmärkte befinden sich im Umbruch. Bilaterale und regionale Handelsverträge haben der Idee vom globalen Freihandel den Rang abgelaufen. Gleichzeitig ist die Bevölkerung zunehmend skeptisch gegenüber neuen Freihandelsabkommen. Auf dem Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) plädieren die Teilnehmer für eine Stärkung des regelbasierten, multilateralen Handelssystems. Verbesserungsbedarf besteht in vielerlei Hinsicht in der Organisation.Die Zölle im Warenhandel sind zwar weitgehend verschwunden, doch bei den Themen der Zukunft wie digitalem Handel, Dienstleistungstransfer und Subventionsabbau sind bisher kaum Fortschritte gemacht worden. Beim Agrarhandel wünschen sich die Entwicklungsländer mehr Liberalisierung. Schon jetzt nimmt der Süd-Süd-Handel eine immer größere Rolle in der WTO ein. Auch sind diese Länder weniger skeptisch gegenüber Freihandel gestimmt – obwohl sie weniger stark davon profitieren als die Industriestaaten. Zwar gab es 2017 weniger Handelsbeschränkungen als erwartet – allerdings auch deutlich weniger Handelserleichterungen. Zudem ist der Welthandel letztes Jahr erstmals weniger gewachsen als das globale Bruttoinlandsprodukt (siehe Grafiken). Doch multilaterale Einigungen, wofür die WTO prädestiniert ist, sind ins Stocken geraten. Seit dem Scheitern der Doha-Runde vor elf Jahren ist nur eine einzige multilaterale Einigung zustande gebracht worden: das Bali-Abkommen von 2013. Gefragter StreitschlichterViel genutzt wird das WTO-Verfahren zur Streitschlichtung, das es Ländern erlaubt, andere Partner des WTO-Abkommens zu verklagen. Kommt das Schiedsgericht zu dem Ergebnis, dass die Klage zu Recht erhoben wurde, können Gegenmaßnahmen, wie Strafzölle, freigegeben werden. In der Regel enden solche Schiedsverfahren einvernehmlich. Allerdings droht die Instanz der Streitschlichtung unter der aktuellen US-Regierung auszubluten. Drei der sieben Posten im Schiedsgericht sind seit längerem unbesetzt – die USA blockieren die Ernennung neuer Mitglieder der Berufungsinstanz. Dabei rufen sie das Schiedsgericht mit am häufigsten an.Dass ein globaler Handelskrieg für WTO-Mitglieder sehr teuer wäre, rechnet Ralph Ossa von der Universität Zürich vor. Er zeigt, dass dann 25 % der globalen Handelsgewinne zerstört würden. Realeinkommensgewinne fielen weg, da 85 % der Einkommensgewinne durch den Welthandel schon realisiert seien. Auch Ossa plädiert für eine Erneuerung des multilateralen Handelssystems. “In Zeiten globaler Wertschöpfungsketten machen bilaterale Abkommen wenig Sinn.” Viele Beschäftigungsprobleme kämen vom technischen Wandel, nicht nur wegen des Handels. Auch Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, meint: “Der Welthandel wird für viele Entwicklungen verantwortlich gemacht, die oft aus der Politik selbst kommen, wie Versäumnisse in der nationalen Bildungspolitik.”Auch bezüglich der Verteilungsfragen beim Freihandel ist eine differenzierte Analyse nötig. Die weltweite Ungleichheit sei seit 1992 stark gesunken, betonen Ökonomen: Die Einkommen der Armen seien zwar gestiegen, die der Reichen aber noch mehr. Auch seien exportorientierte Unternehmen effizienter, oft gebe es hier aber viel größere Lohnunterschiede. Deswegen hat es den Anschein, dass die Lohnungleichheit zunimmt. Daher sei es wichtig, dass jene, die Vorteile durch den Welthandel einstrichen, auch die Verlierer unterstützten. Ein Konzept wird in Zeiten der Globalisierungskritik deshalb wichtiger denn je: der Sozialstaat. Es sei kein Zufall, dass in Ländern, in denen die sozialen Netze am geringsten sind (Großbritannien, USA), die Globalisierungsgegner am stärksten sind.