LEITARTIKEL

Risikofaktor Immobilien

Die Bank of England wird heute aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl ihre Wachstumsprognose als auch ihre Inflationserwartungen deutlich senken. Am Markt wird ohnehin nicht mehr vor Herbst kommenden Jahres mit einem ersten Zinsschritt gerechnet. Es...

Risikofaktor Immobilien

Die Bank of England wird heute aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl ihre Wachstumsprognose als auch ihre Inflationserwartungen deutlich senken. Am Markt wird ohnehin nicht mehr vor Herbst kommenden Jahres mit einem ersten Zinsschritt gerechnet. Es ist schon bemerkenswert, dass Notenbankchef Mark Carney angesichts des konjunkturellen Aufschwungs die während der Krise ergriffenen geldpolitischen Notstandsmaßnahmen noch nicht beendet hat. Seit März 2009 hält die Zentralbank ihren Zins auf 0,5 %. Auch der bei 375 Mrd. Pfund angelangte Anleihenbestand blieb bislang unverändert. Statt der Kreditvergabe an den Mittelstand hat dies in erster Linie die Immobilienspekulation befördert. Aber man darf noch hoffen: Bankvolkswirte haben seit dem Amtsantritt des eloquenten Kanadiers vieles im Kaffeesatz gelesen, was dann doch nicht eintrat.Adair Turner, der ehemalige Chef der britischen Finanzaufsicht FSA, verortete die Beschreibung der Tätigkeit von Banken in Lehrbüchern einmal irgendwo zwischen unzureichend und mythologisch. Die Kreditinstitute sind eben nicht nur der Vermittler zwischen den Ersparnissen der Bevölkerung und den Investitionsbedürfnissen der Unternehmen. Sie finanzieren auch den zuweilen hemmungslosen Konsum der Verbraucher und den Kauf von Vermögenswerten durch die Schöpfung von Buchgeld. Sie schaffen damit Kaufkraft, die es zuvor nicht gegeben hat. Und sie finanzieren den Konkurrenzkampf ihrer Kreditnehmer um bereits bestehende Immobilien – eines der größten Risiken für die Finanzstabilität in entwickelten Volkswirtschaften.Die Konkurrenz der Käufer am Häusermarkt kommt den Banken zugute. Die rasant gestiegenen Immobilienpreise und der einsetzende Aufschwung in Großbritannien und Irland haben dafür gesorgt, dass sie mittlerweile Zuschreibungen vornehmen können, wo zuvor Wertberichtigungen nötig waren. Für die Institute sind Hypotheken zudem viel einfacher in der Handhabung als Darlehen an Kleinstfirmen und Unternehmer. Letztlich braucht man für die Bewertung nicht viel mehr als den für die Immobilie geforderten Preis und ein paar Scoring-Werkzeuge.Die Banken rechnen offenbar fest damit, dass die Zinsen nicht so schnell steigen werden. Anders ist es nicht zu erklären, dass immer mehr Produkte auf den Markt kommen, bei denen die Niedrigzinsen trotz des rasanten Wirtschaftswachstums auf ein Jahrzehnt festgeschrieben werden können. Die Building Society Nationwide etwa bietet eine Hypothek für auf der Insel sensationelle 3,49 %. Der Anteil der Kredite zur Finanzierung produktiver Investitionen am Gesamtvolumen ist dagegen vergleichsweise gering, was auch an mangelnder Nachfrage liegen mag. Selbst in den USA spielen Verbriefungen von Mittelstandskrediten keine große Rolle – verbriefte Immobiliendarlehen dagegen umso mehr.Aber als Vorsitzender des globalen Finanzstabilitätsrats FSB ist Carney wohl mehr damit beschäftigt, ständig neue Vorgaben auf den Weg zu bringen, um eine Wiederholung der Finanzkrise von 2008/09 zu vermeiden – als wäre das eine ernsthafte Gefahr. Was auf der Insel passiert, ist da wohl nicht so wichtig. Dort gibt es gerade auch keine Brände zu löschen. Von einer konjunkturellen Eintrübung, die ein Festhalten am Tiefstzins rechtfertigen würde, kann jedenfalls keine Rede sein, zuletzt lag das Wachstum annualisiert bei 3,0 %. Es muss schon der Blick nach Kontinentaleuropa bemüht werden, um Gefahren für die heimische Wirtschaft heraufzubeschwören. Wenig spricht dafür, dass ein erster Zinsschritt den Unternehmen schaden würde. Allerdings würde schon ein ganz leichter Dreh an der Zinsschraube tausende von Hypothekenschuldnern aus der Bahn werfen, die ihr Eigenheim auf Kante finanziert haben. Davor warnt nicht nur die staatseigene Bad Bank UKAR, die mit der Abwicklung der Immobilienkredite von Northern Rock beschäftigt ist. Dann wären bei den Kreditinstituten wieder saftige Wertberichtigungen angesagt.Noch hat die Immobilienblase ihre maximale Ausdehnung längst nicht erreicht. Eine von der Aufsicht eingeleitete Überprüfung des Marktes hat den Preisauftrieb etwas verlangsamt, weil die Institute den Sommer über mit der Mortgage Market Review beschäftigt waren. Der Regulierer hielt sich bei den neuen Vorgaben aber so zurück, dass es munter weiter nach oben gehen dürfte. Die jüngste Schwäche des Pfunds sorgt dafür, dass der Markt für ausländische Investoren vorerst attraktiv bleibt. Nur eins ist sicher: Der nächste Immobiliencrash kommt bestimmt.——–Von Andreas HippinDas Festhalten der Bank of England an den während der Krise ergriffenen Notstandsmaßnahmen befördert vor allem die Immobilienspekulation.——-