CORONAKRISE WEITET SICH AUS

Rom macht ganz Italien zu Sperrzone

EU soll Flexibilitätsspielraum gewähren - Neue Maßnahmen geplant - Opposition fordert strengere Regeln

Rom macht ganz Italien zu Sperrzone

Italiens Regierung hat die bisherigen Sperrzonen im Norden auf das ganze Land ausgeweitet. Außerdem ist eine Erhöhung des Hilfsprogramms für Wirtschaft und Haushalte von 7,5 Mrd. auf voraussichtlich 10 Mrd. Euro geplant. Die Opposition fordert wesentlich drastischere Maßnahmen.bl Mailand – In Italien spitzt sich die Lage wegen der raschen Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie immer weiter zu. Premierminister Giuseppe Conte bereitet eine Ausweitung der Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft vor, lehnte aber Forderungen der rechten Opposition nach einem Hilfsprogramm in Höhe von mindestens 30 Mrd. Euro sowie einer drastischen Verschärfung der Maßnahmen in der Lombardei und in Venetien ab.Conte hat am Montagabend die erst am Sonntag für große Teile des Nordens verhängte Sperrzone auf das ganze Land ausgedehnt. “Es wird keine roten Zonen mehr geben. Es wird eine einzige Zone Italien geben”, so der Premierminister im Fernsehen. Es gilt nun für das ganze Land eine weitgehende Einschränkung der Reise- und Versammlungsfreiheit. Ausnahmen sind der Weg von und zur Arbeit oder aus gesundheitlichen Gründen, die nachgewiesen werden müssen. “Wir haben keine Zeit mehr. Es ist die Stunde der Wahrheit. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen”, sagte Conte. Der Premierminister forderte die Italiener auf, zuhause zu bleiben. “Unsere Gewohnheiten müssen sich ändern”, erklärte der Regierungschef.Conte erwägt die Einsetzung eines “Superkommissars” mit weitgehenden Vollmachten und plant eine Ausweitung des erst am Freitag vorgestellten Hilfsprogramms für die Wirtschaft und private Haushalte von 7,5 Mrd. Euro auf zunächst wohl um die 10 Mrd. Euro, das weiter erhöht werden könnte. Damit verbunden wäre ein Anstieg des Haushaltsdefizits auf rund 3 %. Die Regierung will die EU um eine Aussetzung der Regeln des Stabilitätspaktes oder zumindest ihre flexible Auslegung bitten.Der Bankenverband ABI bietet an, Kreditrückzahlungen für Unternehmen und Privathaushalte auszusetzen und Laufzeiten zu verlängern. Die Regierung plant außerdem Maßnahmen zur Sicherung der Liquidität von Unternehmen, das Aussetzen von Steuerzahlungen sowie Hilfen für Haushalte, etwa für die Kinderbetreuung. Auch Kurzarbeitsregelungen werden ausgeweitet, um Massenentlassungen zu vermeiden.Unterdessen verschärfen sich die innenpolitischen Auseinandersetzungen. Die drei rechten Oppositionsparteien erklärten nach einem Treffen mit Conte, die Maßnahmen reichten nicht aus. Die Wirtschaft müsse mit mindestens 30 Mrd. Euro unterstützt werden, forderte Lega-Chef Matteo Salvini. Der Regierungschef der Lombardei, Attilio Fontana, verlangt die Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs sowie das Ende aller wirtschaftlichen Aktivitäten – mit Ausnahme lebenswichtiger Bereiche. “Es ist besser, jetzt alles bis Anfang April zu schließen und dann neu zu starten, als mit Halbmaßnahmen weiterzumachen, die nicht helfen, die Epidemie einzudämmen”, erklärte er. Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala ist für die Schließung der Geschäfte, mit Ausnahme von Apotheken und Supermärkten, um Ansteckungsmöglichkeiten zu reduzieren.Es gibt auch Kräfte in der Zentralregierung, die für einen härteren Kurs eintreten. Denn Rom bessert ständig nach. Die jüngste Ausweitung der Sperrzone auf das gesamte Land hat vermutlich mit der Fluchtbewegung nach Süditalien und nach Ligurien zu tun. Viele Mailänder sind in ihre Ferienhäuser am Meer ausgewichen. Liguriens Regionalpräsident Giovanni Toti appellierte an sie, zuhause zu bleiben. Es drohe eine Ausbreitung der Epidemie auch in der Küstenregion, deren Gesundheitssystem darauf nicht vorbereitet sei. In vielen Supermärkten bildeten sich lange Schlangen. An Ausfallstraßen vor allem in Mailand sowie an Flughäfen und Bahnhöfen wurden Passagiere streng kontrolliert. Viele Unternehmen haben ihre Mitarbeiter aufgefordert, von zuhause zu arbeiten. In den produzierenden Betrieben wird weitergearbeitet, auch die Lieferketten funktionieren.Die Verbindungen ins Ausland sind zwar nicht unterbrochen. Doch Österreich hat seine Grenzen für Reisende aus Italien geschlossen. Malta, Marokko und Spanien stellten Verbindungen von und nach Italien ein. Mehrere Fluggesellschaften wie British Airways, Ryanair und Wizz Air fliegen Italien nicht mehr an. Börse gibt weiter nachDie Mailänder Börse verzeichnete nach tagelangen Rückgängen am Dienstag bis zum Mittag einen Anstieg, rutschte aber am Nachmittag mit 2,5 % ins Minus. Der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Bonds lag mit etwa 218 Basispunkten fast auf dem Rekordniveau vom Sommer 2019. In dieser Woche plant Rom die Ausgabe neuer Bonds. Die Finanzierungskosten für Staat, Unternehmen und Banken dürften sich deutlich erhöhen. Bei den Banken droht ein massiver Anstieg fauler Kredite.