Rondo alla turca
Die türkische Lira im freien Fall. Die Inflation im Galopp. Und viele Unternehmen in Nöten, weil sie teure Importe nicht mehr zahlen und Auslandsschulden nicht mehr tilgen können. Genau so beschreiben Volkswirte die Lage in der Türkei – und zwar im Jahr 2001.Die Situation ähnelt verblüffend dem aktuellen Zustand. Erneut verlassen Investoren fluchtartig das Land. Erneut leiden Firmen unter den Schulden in fremder Währung. Und erneut liegen die Ursachen des dramatischen Vertrauensschwunds in der Politik. Ganz wie beim Rondo alla turca: Zwischendrin die ein oder andere kreative Wendung, aber in schöner Regelmäßigkeit folgt immer wieder das gleiche Hauptthema: 1994, 2001, 2018. Kaum jemand weiß das so gut wie Präsident Recep Tayyip Erdogan. Schließlich hat er seinen Aufstieg in der türkischen Politik der letzten großen Krise zu verdanken. Umso erstaunlicher, dass er das Land in den vergangenen Monaten geradezu systematisch in die neue Krise gesteuert hat. Denn im Grunde wäre die Eskalation vermeidbar gewesen, würde Erdogan die Unabhängigkeit der Notenbank ernst nehmen und hätte er nicht ein auf seine Person zugeschnittenes Präsidialsystem geformt. Wäre, würde, hätte. Hat er aber nicht.Mindestens genauso schwer erklärlich ist, warum Erdogan nun mit paranoiden Schuldzuweisungen ans Ausland und naiv anmutenden Appellen an seine Landsleute gegenzuhalten versucht – wie etwa der eindringlichen Bitte, Gold und Dollar in Lira zu tauschen. Und warum er noch immer mit kruden Argumenten gegen eine Leitzinserhöhung agitiert. Ob das Trotz ist, Größenwahn oder Realitätsverlust, das mögen Psychoanalytiker beurteilen. Das Problem ist, dass sich Erdogan in eine Sackgasse manövriert hat, aus der er nur schwer herausfindet – zumindest nicht ohne Gesichtsverlust. Spannend ist indes nicht allein die Frage, was Erdogan nun tun – und was er endlich einmal lassen – sollte. Sondern auch, wie sich der Rest der Welt gegenüber der Türkei verhalten sollte. Um eine Antwort vorwegzunehmen: Ganz sicher nicht so, wie es US-Präsident Donald Trump Ende voriger Woche getan hat, als er mit präzisem Timing die Verunsicherung an den Märkten durch die Ankündigung von Strafzöllen gegenüber der Türkei verschärft hat. Welche Überlegung Trump getrieben hat, gerade in diesem Moment die Lage zusätzlich zu destabilisieren, bleibt sein Geheimnis.Leider spricht vieles dafür, dass hinter Erdogans Uneinsichtigkeit ebenso wie hinter Trumps Eskalationen keine rationalen politischen Überlegungen stehen, sondern eher der sportliche Wetteifer von Präsidenten, die es als Kern ihrer Amtsführung sehen, ihre Machtfülle unter Beweis zu stellen. Die Staats- und Regierungschefs anderer Länder sind für sie eher Widersacher als Partner. Nur so jedenfalls ist zu verstehen, warum sich Erdogan und Trump zuletzt einen Schlagabtausch in der Manier von Halbstarken auf offener Bühne geleistet haben.Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich ist es nicht zu beanstanden, wenn westliche Regierungen den Autokraten Erdogan in die Schranken weisen und unter Druck setzen. Trump hat mit seinem Tweet indes nicht nur riskante Verwerfungen an den Märkten billigend in Kauf genommen, die längst nicht allein auf die Türkei beschränkt bleiben, sondern erhebliche Ansteckungsgefahren mit sich bringen. Der US-Präsident hat Erdogan gleichzeitig einen Steilpass geliefert, um die jüngsten Turbulenzen als “Kampagnen” von feindlich gesinnten Regierungen zu brandmarken. Indirekt hilft Trump dem türkischen Präsidenten damit, patriotische Kräfte in seiner Heimat zu mobilisieren. Es ist jedoch fatal, wenn der Westen fahrlässigerweise dazu beiträgt, in schwierigen Zeiten den Nationalismus in der Türkei zu befeuern. Das könnte zur Folge haben, dass sich das Land – immerhin Nato-Verbündeter und eine der wichtigsten Parteien bei der Umsetzung der europäischen Flüchtlingspolitik – anderen Partnern zuwendet. Und im – gar nicht mehr ganz unwahrscheinlichen – Fall, dass Erdogan die Krise nicht politisch überleben sollte, dürfte die auch von außen aufgeheizte Stimmung es moderaten politischen Kräfte noch schwerer machen, an die Macht zu gelangen. An einem Chaos am Bosporus kann niemandem gelegen sein. Es ist daher jetzt nicht die Zeit für Muskelspiele per Twitter, sondern die Stunde der Diplomatie. In anderen Worten: Jetzt ist mal wieder vor allem Europa gefragt.—–Von Detlef FechtnerAn einem Chaos am Bosporus kann niemandem gelegen sein. Es ist nicht die Zeit für Muskelspiele per Twitter, sondern die Stunde der Diplomatie.—–