IM BLICKFELD

Russische Unternehmer im Fadenkreuz des Geheimdienstes

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 16.7.2019 Erfolgreiche Geschäftsleute waren in Russland immer schon verdächtig. In diesem Jahr aber haben die Attacken auf namhafte Geschäftsleute ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Der Zeitpunkt ist kein...

Russische Unternehmer im Fadenkreuz des Geheimdienstes

Von Eduard Steiner, MoskauErfolgreiche Geschäftsleute waren in Russland immer schon verdächtig. In diesem Jahr aber haben die Attacken auf namhafte Geschäftsleute ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Wer es rechtzeitig schafft, setzt sich ab.Soll keiner sagen, Putin habe nichts gewusst. Seit Jahren redet er selbst von der “Zerstörung des russischen Geschäftsklimas”, von der nationalen Plage, Unternehmer wie Freiwild zu verhaften und ihnen das Geschäft zunichtezumachen. Fast die Hälfte der – Zehntausende – strafrechtlicher Klagen gegen Geschäftsleute gelange nicht einmal vor Gericht, sagte er kürzlich: “Das heißt, dass sie einfach so aus unverständlichen Motiven erhoben werden.” Ehemaliger Armee-PilotDer jüngste Fall ist der von Sergej Petrow, mit geschätzt 900 Mill. Euro auf Platz 114 der russischen “Forbes”-Liste. Der heute 65-Jährige zählt zu jenen wenigen Vorzeigeunternehmern, die nicht auf der Basis des in Russland verbreiteten Rohstoffsektors zu ihrem Vermögen gekommen sind. Auch hat Petrow aus seiner Opposition gegen Putin nie einen Hehl gemacht. Einst als Armee-Pilot wegen antisowjetischer Propaganda entlassen, registrierte er am 5. August 1991, als Putin noch KGB-Offizier war, sein Autohandelshaus “Rolf” und wurde zum landesweit größten Autoimporteur mit heute 15 000 Mitarbeitern. 2007 wurde er gar in die Staatsduma gewählt und war 2014 einer von vier Abgeordneten, die nicht für die Krim-Annexion stimmten.Am 27. Juni nun wurden 29 seiner Büros und Wohnungen seiner Mitarbeiter gefilzt, ein Manager wurde unter Hausarrest gestellt. Petrow, der seit einiger Zeit im Ausland lebt, wird vorgeworfen, Anfang 2014 durch den preislich überhöhten Verkauf von Aktien einer Firmentochter 3,9 Mrd. Rubel (55 Mill. Euro) ins Ausland geschafft zu haben. Darauf stehen fünf bis zehn Jahre Haft.Der betreffende Paragraf, erst 2013 eingeführt, wird seit dem vergangenen Jahr offensiv angewendet. Schiebe man einem unliebsamen Normalbürger Rauschgift unter, um ihn kaltzustellen, so mache man es bei unliebsamen Unternehmern anhand grenzüberschreitender Transaktionen, erklärt Dmitri Kostalgin von der Moskauer Anwaltskanzlei Taxadvisor, in einem Zeitungskommentar: “Gefällt der Preis nicht, geht’s ab ins Gefängnis.””Ich habe mit der Attacke ehrlich gesagt gerechnet”, sagt Petrow der Börsen-Zeitung: “Vielleicht hat sie damit zu tun, dass ich einst Nawalny geholfen habe.” Dieser ist der bedeutendste russische Oppositionspolitiker, der sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hat. Es braucht freilich keine politische Aktivität, um als Unternehmer in Russland heute unter die Räder zu kommen. Angesichts der mauen Wirtschaft fürchte der Inlandsgeheimdienst FSB den Ruf nach unternehmerfreundlicher Liberalisierung, sagt Alexej Makarkin, Vizechef des Zentrums für Politische Technologien, der Börsen-Zeitung. “Kein Geschäftsmann ist gefeit. Ob man politisch loyal ist oder nicht, spielt keine Rolle.”Ein Beispiel ist David Jakobaschwili . Nach dem Fall der Sowjetunion gründete der gebürtige Georgier, der fünf Sprachen spricht und auf ein Vermögen von 750 Mill. Dollar geschätzt wird, mit Partnern den Getränkekonzern Wimm-Bill-Dann, bei dessen Börsengang später auch Danone einstieg und der 2011 für 5,7 Mrd. Dollar an Pepsico verkauft wurde – die größte Auslandsinvestition in Russland jenseits des Rohstoffsektors. Heute besitzt Jakobaschwili, führendes Mitglied des Unternehmerverbandes, eine Ölhandelsfirma sowie Ländereien und hat in Moskau ein Museum für seine rund 20 000 Exponate umfassende Sammlung alter Uhren und Musikinstrumente errichtet.Am 18. Juni startete der FSB ebendort eine Razzia. Der Vorwurf lautet auf “Betrug”. Im Fall Jakobaschwili wurde der Geheimdienst auf Beschwerde eines früheren Geschäftspartners aktiv. An den Betrugsvorwurf will offenbar nicht einmal der von Putin eingesetzte Ombudsmann für Unternehmer, Boris Titow, glauben, der Jakobaschwili öffentlich verteidigt hat. Jakobaschwili ist im März nach Frankreich geflüchtet und will vorerst nicht nach Russland zurückkehren.Russlands Geschäftsleute haben Angst, allein dieses Jahr wurden sechs namhafte Personen attackiert. Im Februar etwa wurde Michael Calvey, wohlgemerkt US-Staatsbürger und Gründer der Investitionsgesellschaft Baring Vostok, verhaftet. Die angebliche Betrugs-Causa brachte sogar den Kreml in Verlegenheit. Ein landesweiter Schock war die Festnahme von Michail Abysow, Geschäftsmann und zwischenzeitlich Putins Berater und Minister. Chaos in den 1990er JahrenDas unternehmerfeindliche Sowjeterbe macht die Geschäftsleute verhasst – zumal Putin die 1990er Jahre, in denen Russland erste Gehversuche in der Marktwirtschaft machte, als reines Chaos diskreditiert hat. Das Sagen haben heute Aufsteiger aus Geheimdienst, Militär und Polizei. Und zunehmend führt der FSB selbst die Attacken auf die Geschäftsleute an.Die Situation erinnere an 1984, das Jahr vor Beginn der Perestroika, erklärt Politologe Makarkin: Der Ölpreis sei gesunken, das Wirtschaftswachstum gleiche einer Stagnation, Wachstumsperspektiven seien nicht zu sehen, das Verhältnis zum Westen sei konfliktträchtig, die Unzufriedenheit der Menschen wegen der sozialökonomischen Situation steige. Und längst sei der staatliche Sicherheitsapparat selbst geschäftlich tätig. Wer als privater Unternehmer im Spiel bleiben wolle, suche nicht selten die Allianz mit Generälen, so Makarkin: “Das erhöht die Chancen.” Eine Garantie ist es freilich nicht.