DIE ÖKONOMISCHE ORDNUNG ZERBRICHT

Russland mischt die westliche Welt auf

Der Umgang mit der Unberechenbarkeit Putins

Russland mischt die westliche Welt auf

Von Eduard Steiner, MoskauUnter den Varianten, sich einen gewissen Einblick in Wladimir Putins Psychogramm zu verschaffen, ist die Vergegenwärtigung seiner direkten Aussagen sicher eine der einfacheren: “Die Schwachen werden geschlagen”, lautete etwa ein Lieblingsspruch des russischen Präsidenten von Jugend an. Damals musste er in den Petersburger Hinterhöfen seine verhältnismäßig geringe Körpergröße dadurch wettmachen, dass er sich dem Kampfsport verschrieb.Es gibt freilich auch indirekte Varianten der Psychoanalyse. Zum Beispiel die über das Staatsbudget. Sofern dieses auch nur ansatzweise einen Spiegel von Putins Weltsicht darstellt, dann ist Verteidigung und militärische Stärke aus seiner Sicht das Gebot der Stunde. Nur für Soziales sind die Ausgaben noch höher und erreichen 2017 etwa 30 % der Aufwendungen. Fürs Militär gehen sie zwar von derzeit 23 % auf 17 % zurück, was freilich noch immer über dem Niveau von 2011 (14 %) liegt, von dem aus die Ausgaben kontinuierlich gestiegen sind. Rechnet man den ganzen Sicherheitsapparat zusammen, ergibt das für 2017 aber satte 28 % des Budgets.Das sind die Daten, aus denen der inländische Machterhalt und der internationale Machtgewinn gezimmert sind. Russlands Zukunft, wie sie Putin vorschwebt, nährt sich aus der Rückbesinnung auf frühere Größe. Und so ist Russland global wieder aktiv. Es mischt sich ein, mischt die Welt sogar auf. Nicht zufällig hat das US-Magazin “Forbes” den Kremlchef soeben erneut zum mächtigsten Menschen der Welt erklärt und ihm damit mehr Ehre zukommen lassen, als er sich selbst je hätte erträumen können. Er wollte geopolitische Ebenbürtigkeit mit Washington. Nun führt der 64-Jährige die Forbes-Rangliste das vierte Jahr in Folge an.Dass Putins globales Engagement zur Stabilität der Welt beigetragen hätte, kann man nicht behaupten. Stabilität ist auch gar nicht sein dezidiertes Ziel. Letztlich ist sein Motiv ein Mix aus Ambition, Verteidigung nationaler Interessen, beleidigter Reaktion auf als demütigend empfundenes Verhalten des Westens und partieller Konstruktivität.Zu unterschiedlichen Zeiten gewann Unterschiedliches die Oberhand. So schlug er 2012 konstruktiv einen Friedensplan für Syrien vor, der auch den Rücktritt des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vorgesehen hatte, aber von den USA, Frankreich und Großbritannien zunächst einfach ignoriert wurde, wie der finnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari offengelegt hat.Auch aufgrund anderer gescheiterter Projekte ist Putin sichtlich angewidert vom Westen, den er verdächtigt, selbst prinzipienlos zu agieren und eigenmächtig Regimewechsel – wie in der Ukraine – herbeizuführen. Und so sprach er von nationalen Interessen, als er die Krim annektierte und in der Ostukraine intervenierte, nachdem ihm die Ukraine mit dem geplanten EU-Assoziierungsabkommen zu entgleiten drohte. Und als US-Präsident Barack Obama Russland daraufhin als Regionalmacht verspottete, war Putin – so schildern es Quellen aus dem Kreml – außer sich vor Wut und sah sich in seinem Willen bestärkt, nun selber in Syrien zu intervenieren. Wider die Pax AmericanaDass es der Welt nach Russlands Interventionen besser geht, ist nicht immer so klar als Ziel zu erkennen. Aktiv Frieden zu schaffen und Wiederaufbau zu betreiben, steht derzeit aktuell nicht auf Moskaus Agenda. Dafür setzt sich Putin umso mehr dafür ein, die mit dem Ende der Sowjetunion vor 25 Jahren verkündete “Pax Americana”, eine Weltordnung unter der Oberaufsicht der USA, zu beenden.So gesehen ist das Gefährlichste an Putin seine Unberechenbarkeit, wenn er nicht auf Augenhöhe Respekt erfährt. Und es muss für den Westen keine gute Nachricht sein, wenn laut Meinungsforschungsinstitut Levada-Center soeben 29 % der russischen Bevölkerung bekannten, dass sich ihre Einstellung zu Putin in letzter Zeit verschlechtert habe. Offenbar wird vielen der materielle Wohlstand wieder wichtiger als geopolitische Größe. Wenn Putin nicht schnell genug liefern kann, was angesichts des mageren Wachstums nur schwer zu schaffen ist, wird er an anderer Stelle nachlegen müssen. Es sei denn, mit einer potenziellen Entspannung durch den künftigen US-Präsidenten Donald Trump wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Hand streckt Putin ihm aktuell aus einer Position der Stärke entgegen.