Russland sucht sein Heil in neuer Privatisierungswelle

Von Geldnot getrieben - Vorhaben aber halbherzig

Russland sucht sein Heil in neuer Privatisierungswelle

Von Eduard Steiner, MoskauWenn Russen ihre Arbeitsweise erklären wollen, greifen sie gern auf ein Sprichwort zurück: “Wir spannen (die Pferde) langsam ein. Aber dafür fahren wir dann schnell.” Genau diesen Eindruck will man derzeit offenbar auch in Sachen Privatisierung von Staatsvermögen vermitteln. Seit Kreml-Chef Wladimir Putin am 1. Februar das Startsignal dazu gegeben hat, vergeht kaum ein Tag, an dem die Vorhaben und das Prozedere nicht von irgendeinem Regierungsmitglied neu erläutert werden.Zuletzt hat Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erklärt, man habe bereits Investitionsberater zur Teilprivatisierung des Ölunternehmens Baschneft angeheuert. Beim Diamantenkonzern Alrosa hingegen würden die Parameter erst bestimmt.Bei Russlands größtem Ölkonzern, Rosneft, wiederum wurde die Privatisierung von 19,5 % der Anteile zwar schon angeordnet. Unklarheit herrscht aber nach wie vor über den Modus. Große ObjekteEs geht um keine kleinen Unternehmen diesmal. Es geht um die Kaliber der jeweiligen Branche: den Telefonleitungsriesen Rostelekom mit seinen über 100 Millionen Kunden, den Ölpipelinemonopolisten Transneft, die Petersburger Reederei Sowkomflot. Und noch einige andere mehr.Die demonstrierte Geschwindigkeit ist leicht erklärt: Der Staat braucht Geld. Die Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts – um 3,7 % 2015 – wird sich nämlich 2016 fortsetzen. Und selbst das dreiprozentige Budgetdefizit kann nicht mehr selbstverständlich gehalten werden.Daran ist vor allem der Ölpreisverfall schuld. Wie Finanzminister Anton Siluanow vorgerechnet hat, würden dem Staat bei einem Ölpreis von durchschnittlich 30 Dollar je Barrel Einnahmen von 2 Bill. bis 2,5 Bill. Rubel (rund 30 Mrd. Euro) entgehen.Mit Sparen allein kann das Problem nicht mehr gelöst werden. Und da die milliardenschweren Reservefonds schon 2017 aufgebraucht sein dürften, führt an einer neuen Privatisierungswelle kein Weg vorbei. Trotz des schwierigen Marktumfelds verspreche sich der Staat daraus Einkünfte von 800 Mrd. Rubel, sagte Uljukajew.Bleibt die große Frage, wer eigentlich kaufen soll. Und ob die Privatisierung diesen Namen überhaupt verdient. “Es wird eine Privatisierung light sein”, erklärt Sergej Petrow, Milliardär aus dem Automobilsektor und nun Abgeordneter in der Staatsduma, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: “Da der Staat die Mehrheit an den zu privatisierenden Unternehmen behalten will, ist es wie Palliativmedizin. An der Corporate Governance der Betriebe wird sich nichts ändern.” Weniger effizientTatsächlich gelten die Staatsbetriebe im Vergleich zu den privaten Firmen als weniger effizient. Dabei hat Putin alle Jahre ihren Anteil ausgeweitet. Heute betrage er in einzelnen Sektoren bis zu 80 %, listet der Internationale Währungsfonds auf.Die Angst, dass das Rad zu sehr zurückgedreht wird, scheint bei Putin groß zu sein. Und so verlangt er neben der Erhaltung der staatlichen Kontrolle auch, dass der Käufer seinen Sitz in Russland haben muss, womit Konkurrenz von außen ausgeschlossen ist.Von den Vermögenden im Inland aber sind viele im Moment nicht liquide. Und gerade bei Privatunternehmern ist das Interesse an Investitionen im Inland beschränkt. Gefahr der KonzentrationDas alles senkt den Preis. Und diese Gelegenheit könnten all jene nutzen, die ohnehin an den Futtertrögen des Staates stehen oder zum engsten Kreis des Kreml-Chefs zählen. So der drittgrößte Ölkonzern, Surgutneftegaz, dessen Eigentümerstruktur geheim gehalten wird, der aber auf Dutzenden Milliarden an Cash sitzt. “Die Privatisierungsaktion wird zum Test zwischen den Elitegruppen”, meint Petrow.Am Ende könnte es also zu einer neuen Konzentration der Vermögenswerte in den Händen einiger weniger kommen. Oder, wie es der russische Ökonom Konstantin Sonin formuliert, zu einer “fiktiven Privatisierung, so dass über eine Kette von Zwischenholdings oder Kreditgarantien am Ende eine Staatsbank oder ein anderes Staatsunternehmen zum Besitzer wird”.