Russland will Rubel-Verfall stoppen

Zentralbank hebt Leitzins überraschend an - US-Sanktionen belasten Wachstum - Währung schwächelt

Russland will Rubel-Verfall stoppen

Nach Jahren kontinuierlicher Leitzinssenkungen heben Russlands Währungshüter ihren Zins unerwartet an. Der Hauptgrund sind immer neue US-Sanktionen. Diese haben zusammen mit den steigenden US-Zinsen den Rubel stark unter Druck gebracht – trotz des hohen Ölpreises. Auch die Inflation in Russland legt zu.Von Eduard Steiner, MoskauNach den jüngsten Aussagen von Zentralbankchefin Elvira Nabiullina Anfang September war bereits klar gewesen, dass die von ihr geführte russische Notenbank ihren Schlüsselsatz nicht weiter senken würde. Dass sie ihn auf der Sitzung am Freitag letztlich sogar anhob, kam dann aber doch überraschend. Die Notenbank erhöhte den Satz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld um einen Viertelpunkt auf 7,5 %. Das ist die erste Anhebung seit Dezember 2014, als die Zentralbank den Leitzins in einem Kraftakt von 10,5 % auf 17 % hochgerissen hatte. Zunehmende InflationsrisikenBereits in den vergangenen Monaten war die Notenbank vorsichtiger geworden und hatte den Zinssatz auf drei Sitzungen am Stück nicht angetastet. Im Kommentar zur Juli-Sitzung erklärte sie dies mit zunehmenden Inflationsrisiken. In der Erklärung zur Sitzung am Freitag heißt es nun, dass sich diese Risiken seit Juli wesentlich verstärkt hätten, weil sich die äußeren Bedingungen geändert hätten. Bemerkenswert ist, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) demgegenüber erst am Donnerstag sogar eine weitere geldpolitische Lockerung als angemessen bezeichnet hatte.Die gravierendste äußere Bedingung, von der Nabiullina sprach, sind die diversen US-Sanktionen gegen das Land. Bereits die im April verhängten Sanktionen hatten der russischen Wirtschaft einen empfindlichen Schlag versetzt. Ende August folgte der nächste – als Reaktion auf Russlands Weigerung, bei der Aufklärung der Vergiftungsvorfälle unter Einsatz des mutmaßlich russischen Nervengifts Nowitschok in Großbritannien mitzuwirken. Schon da hatte das US-Außenministerium für November ein weiteres Sanktionspaket angekündigt, das eine “bittere” und “harte” Prüfung für Russland werde. Beobachter meinen, es könnte zu einem totalen Handelsembargo seitens der USA gegen Russland kommen. Dazu käme möglicherweise eine Finanzblockade. Die Folgen wären tiefgreifend, da sie die strukturellen Beschränkungen für Russlands Wirtschaftswachstum noch weiter verstärken würden.Obwohl das offizielle Russland die relativ “milden” Sanktionen von Ende August demonstrativ kleinredet, haben diese bereits signifikante Auswirkungen auf den Rubel gehabt. Der Rubel, der bereits im April deutlich abgesackt war, verlor seit August abermals mehr als 10 % an Wert und nähert sich der psychologisch wichtigen Marke von 70 Rubel je Dollar.Zutage trat dabei noch ein anderes, neues Phänomen: Im Unterschied zu den Jahrzehnten davor hat der Einfluss des Ölpreises auf den Rubel deutlich abgenommen, so dass selbst die jetzigen hohen Ölnotierungen die Währung nicht mehr stützen. Nach der gestrigen Zinsentscheidung legte der Rubel allerdings erwartungsgemäß zu.Gerade die zuvor negative Dynamik des Rubel war es auch, die als Verstärker der Teuerungsrate zur Vorsicht bei der Zentralbank führte. Ihrer Einschätzung nach könnte nämlich die Inflation bis zum Jahresende über den Zielwert von 4 % steigen. Damit wäre der Erfolg Nabiullinas, die traditionell hohe Teuerung zum ersten Mal in der Geschichte des Landes unter diesen Wert gedrückt zu haben, temporär zunichtegemacht. Unklar ist, wie sehr sich diesbezüglich auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer Anfang 2019 auswirken wird. Für 2019 prognostiziert die Zentralbank eine Inflation von 5,0 % bis 5,5 %, ehe sie 2020 wieder unter 4 % zurückkehren soll. Nabiullina erwartet, dass Ende 2019 oder Anfang 2020 wieder die Bedingungen für eine Lockerung der Geldpolitik gegeben sein werden.Aufgrund des zeitlichen Zusammenfalls wurde am Freitag wiederholt die These bemüht, dass die russische Zentralbank mit ihrem Zinsschritt dem Vorbild der Türkei gefolgt sei, die einen Tag zuvor den Leitzins um ganze 6,25 Punkte auf 24 % angehoben hatte. Gemein ist den beiden und anderen Schwellenländern, dass im Zuge der US-Zinserhöhungen ein Ausverkauf bei den Emerging Markets stattgefunden hat. Im Unterschied zu seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan freilich hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Zentralbank nie öffentlich zu einer bestimmten Geldpolitik aufgefordert. Und auch die Anfang 2014 mit der Krim-Annexion losgetretene Wirtschaftskrise ist anders gelagert. Neben den Sanktionen lag sie vor allem am Ölpreisverfall und an ausbleibenden Reformen. Rezession überwundenIm Vorjahr hat das Land immerhin die zweijährige Rezession überwunden. Der Aufschwung bleibt freilich verhalten. Im ersten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,3 % zu, im zweiten dank gesteigerter Rohstoffexporte laut vorläufiger Schätzung des staatlichen Statistikamtes Rosstat um 1,9 %. Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin erklärte am Mittwoch, das BIP werde auch im dritten und vierten Quartal bei höchstens 1,9 % liegen. Der IWF prognostiziert für das Gesamtjahr 1,7 % und für 2019 dann nur 1,5 %.Die große Frage bleibt, wie sehr Putin sich zu einem Reformkurs durchringen kann. Die Exekutivdirektoren des IWF begrüßten in ihrem jüngsten Statement zum sogenannten Artikel-IV-Länderbericht jedenfalls die Pläne, die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu erhöhen. Und sie goutierten die Pläne zur Rentenreform, die dazu beitragen sollten, die negativen demografischen Trends auszugleichen. Die Rentenreform gilt aktuell als heißestes innenpolitisches Eisen.