LEITARTIKEL

Sammelklage mit Bedacht

Der Diesel-Skandal macht es möglich. Die Einführung der schon lang ventilierten Sammelklage nach deutscher Façon hat plötzlich wieder Konjunktur. Massenhaft geschädigte Verbraucher könnten damit in einem einfachen und kostengünstigen Rechtsverfahren...

Sammelklage mit Bedacht

Der Diesel-Skandal macht es möglich. Die Einführung der schon lang ventilierten Sammelklage nach deutscher Façon hat plötzlich wieder Konjunktur. Massenhaft geschädigte Verbraucher könnten damit in einem einfachen und kostengünstigen Rechtsverfahren ihre Ansprüche gegen einen großen Konzern durchsetzen, wenn es diese Musterfeststellungsklage gäbe – so die Idealvorstellung. Dafür stark macht sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der auch für Verbraucherschutz zuständig ist. Maas hält die Union allein für die Verzögerung verantwortlich. Hätte die Union nicht blockiert, könnte dieser Klageweg längst Realität sein, wetterte Maas. Ins Rollen gebracht hatte die Debatte CSU-Vorsitzender Horst Seehofer. Mit Blick auf die geschädigten Verbraucher aus dem Diesel-Skandal nannte er die Einführung: überlegenswert.Viel spricht dafür, dass die Musterfeststellungsklage politisch wieder auf den Tisch kommt. Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD 2013 sehr allgemein formuliert, das Verbrauchervertragsrecht werde so ausgestaltet, dass es effektiver durchgesetzt werden könne. Eine klare politische Verabredung zugunsten kollektiver Rechtsdurchsetzung klingt anders. Tatsächlich war der Referentenentwurf zur Musterfeststellungsklage aus dem Hause Maas nach vielen Monaten regierungsinternem Gezerre erst Ende 2016 fertiggestellt. Ungewöhnlich genug ist, dass sich der Deutsche Anwaltsverein in diesem Februar in einer Stellungnahme zu einem inoffiziellen Entwurf äußerte – und dies kritisch. Die Justizministerkonferenz der Länder hat dem Thema Auftrieb gegeben, indem sie Maas in diesem Frühjahr aufforderte, einen Diskussionsentwurf zur Stellungnahme zu verschicken. Dem kam Maas erst Anfang August nach. Auch der Abgasuntersuchungsausschuss im Bundestag machte sich in seinem Abschlussbericht Ende Juni für eine Musterfeststellungsklage stark. Die Grünen forderten nun, die Klage gegen große Konzerne noch schnell im September vor dem Ende der Legislaturperiode nach dem Vorbild der “Ehe für alle” zu beschließen.Gerade für einen Schnellschuss eignet sich die Musterfeststellungsklage nicht. Anders als die “Ehe für alle” liegt auch kein in allen Gremien und Ausschüssen durchberatener und von Sachverständigen beurteilter Gesetzentwurf vor, den der Bundestag nur billigen müsste. Daran ist auch Maas nicht unschuldig. Für einen Referentenentwurf aus dem Dezember wäre es ohnehin knapp geworden, noch in dieser Legislatur den Weg ins Bundesgesetzblatt zu nehmen. Umstritten ist die Materie nicht nur bei Schwarz-Rot, auch unter Rechtsexperten sind die Meinungen äußerst kontrovers. Von überflüssig bis überfällig hatten Sachverständige 2015 bei einer Anhörung im Bundestagsrechtsausschuss Verbraucherschutz den Entwurf der Bündnisgrünen zur Einführung von Gruppenverfahren im Zivilprozess beurteilt.Dem Bestreben, ein preisgünstiges und zügiges Verfahren für Verbraucheransprüche einzurichten, steht die Sorge gegenüber, hierzulande werde sich eine Klageindustrie nach US-Vorbild etablieren. Unternehmen könnte dies – berechtigt oder nicht – in den Ruin treiben. Ein Vergleich mit den Geschädigten müsste zudem Rechtssicherheit für Unternehmen schaffen, nur dann ist ein zügiger Abschluss auch wahrscheinlich. Dies sieht die Union durch den Maas-Entwurf nicht gegeben. Kritisiert wird auch, der Entwurf lasse gleiches Recht für alle vermissen: Nicht nur Verbraucher, auch Unternehmen sollten sich auf einen Feststellungsbeschluss in einem Musterverfahren berufen dürfen. Die ausschließliche Klagemöglichkeit für anerkannte Verbraucherschutzverbände kann für Konsumenten von Bagatellschäden zudem kontraproduktiv sein: wenn es sich für den Verband nicht lohnt, in dieser Sache zu klagen.Wenig Hoffnung spendende Erfahrungen mit kollektivem Rechtsschutz hierzulande gibt es bereits im Finanzmarktrecht. Das 2005 eingeführte und mehrfach reformierte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hat geschädigte Telekom-Aktionäre bis heute nicht befriedigt. Das Gesetz war nach der Börseneinführung mit Blick auf mögliche massenhafte Ansprüche aus der Prospekthaftung erlassen worden. Das Verfahren läuft noch. Der Bundestag hatte das Gesetz 2012 erneut bis Herbst 2020 befristet, um dann die Funktionsfähigkeit zu evaluieren. Soweit die Diesel-Geschädigten betroffen sind, ist auch von Maas keine schnelle Hilfe zu erwarten. Sein Entwurf geht davon aus, dass es zwei Jahre der Vorbereitung bedarf, bevor eine Sammelklage nach deutscher Façon in Form eines Musterverfahrens möglich sein wird.——–Von Angela WefersSammelklagen nach deutscher Façon sind diskussionswürdig, müssen aber gleiches Recht für beide Seiten schaffen. Ein gesetzlicher Schnellschuss ist gefährlich.——-