Schatten über dem Petersburger Wirtschaftsforum

Russland reagiert verärgert auf Verlängerung der EU-Sanktionen - Konzerne hoffen auf neue Töne Putins

Schatten über dem Petersburger Wirtschaftsforum

Von Eduard Steiner, zzt. St. PetersburgEs war der denkbar schlechteste Auftakt für das Internationale Wirtschaftsforum, das gestern in St. Petersburg begann. Genau einen Tag vorher verständigten sich die EU-Staaten darauf, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland um mehr als ein halbes Jahr zu verlängern. Und als Reaktion darauf tat Russlands Wirtschaftsminister Alexej Uljukajev nun gestern kund, Russland werde seine Gegenmaßnahmen, sprich das Importembargo gegen EU-Agrarprodukte, aufrechterhalten.Unter einem schlechteren Stern könnte das Forum, immerhin die wichtigste Kommunikationsplattform für russische und europäische Wirtschaftstreibende, also nicht stehen. Und dennoch: Je mehr man sich in Petersburg umhörte, umso mehr konnte man sich verwundert davon überzeugen, dass sich die Geschäftswelt, die beiderseits ob der Sanktionen irritiert ist, immer mehr an die Handelsbeschränkungen zu gewöhnen beginnt. Vor allem von russischer Seite werden sie kaum thematisiert. Und die Tatsache, dass dieses Jahr wieder etwas mehr deutsche und andere westliche Firmenchefs gekommen sind, scheint zu bestätigen, was David Jakobaschwili, Co-Präsident des russischen Unternehmerverbandes, im Gespräch sagt: “Wir haben gute Gespräche mit europäischen und US-Firmen. Die Geschäftswelt wird der Initiator für ein besseres Verhältnis werden.”Für den Zustand der russischen Wirtschaft sind die Sanktionen ohnehin nur mitverantwortlich, keinesfalls aber ausschlaggebend. Dass Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 um voraussichtlich etwa 3 % schrumpfen wird, hat vorwiegend strukturelle Gründe. Das weiß man in Russland sehr wohl, spricht es aber ungern so deutlich aus. Umso spontaner war gestern der Applaus, als Herman Gref, Ex-Wirtschaftsminister und Chef der landesweit größten Bank Sberbank, festhielt, dass “eine Krise immer das Ergebnis eines schlechten Managements ist”. “Im Auge des Orkans”Auch Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, Wladimir Putins Joker für einen etwaigen Austausch des Premierministers, räumte mit einem Mythos auf – und zwar mit der zuletzt weit verbreiteten Einschätzung, dass das Schlimmste der Krise in Russland vorbei sei. “Wir befinden uns im Auge des Orkans”, hielt er fest. Die leichte Verbesserung im ersten Quartal hätte alle in die Irre geführt, so Kudrin: Aber das zweite Quartal werde zeigen, dass dem nicht so ist. Im Übrigen belaste die Unbestimmtheit in den Beziehungen zum Westen.Gref und Kudrin sind die einzigen zwei, die eine gewisse Narrenfreiheit als öffentliche Korrektive haben. In der westlichen Geschäftswelt hofft man, dass sie mit ihren gestrigen Aussagen Putin die Vorlage für seinen mit Spannung erwarteten Auftritt heute in Petersburg geliefert haben und auch er den Akzent weg von einer Attacke gegen den Westen hin zu einer Selbstreflexion lenkt – und dass er mit einer bahnbrechenden Rede den Anstoß liefert, die Wirtschaft in Russland zu entfesseln.Im Unterschied zu Europas Konzernchefs scheinen die chinesischen dies nicht zu erwarten. Sie sind nach ihrer starken Präsenz in Petersburg im Vorjahr dieses Jahr auffällig unterrepräsentiert – und das trotz der Tatsache, dass Russland das Narrativ pflegt, seine Wirtschaft nach Südostasien auszurichten.