China

Schmerzhafte Gleichung

Wer immer sich auf Chinas aktuelle konjunkturpolitische Linie keinen Reim zu machen weiß, kann es mit folgender Formel versuchen: „short-term pain = long-term gain“.

Schmerzhafte Gleichung

Wer immer sich auf Chinas aktuelle konjunkturpolitische Linie keinen Reim zu machen weiß, kann es mit folgender Formel versuchen: „short-term pain = long-term gain“. Mit dieser Maxime werden zwei Vorgehensweisen der Regierung gerechtfertigt, um prominenten Problemen zu Leibe zu rücken. Zum einen geht es um die kompromisslose Haltung in Sachen Corona: Wo immer die Delta-Variante in China aufpoppt, greifen sofortige Lockdowns und Mobilitätsrestriktionen, die neben Tourismus und Reiseverkehr auch Gütertransport und Lieferketten beeinträchtigen. Zum anderen bekennt sich Peking aus sozialpolitischen Gründen zur Preisdämpfung bei Wohnimmobilien und nimmt in Kauf, dass Wohnungsmarkt und Bauaktivität an Schwung verlieren.

Neue Wirtschaftsleistungsdaten geben nun Aufschluss darüber, wie es mit der Schmerzerduldung zur Absicherung langfristiger Wachstumsvorteile aussieht. Sowohl bei Einzelhandelsumsätzen als auch der Industrieproduktion liegt das Wachstum klar unter den Erwartungen, weil die Corona-Nulltoleranzpolitik ihren Preis fordert. Besonders ernüchternd sieht es an der Konsumfront aus. Die Einzelhandelsumsätze sind zuletzt nur um 2,5% gestiegen, eine für China völlig indiskutable Wachstumsrate. Delta hat den chinesischen Konsumenten in die Flucht geschlagen. Die Frage ist, wann er sich aus seinem Versteck traut. Spätestens im September lautet die Antwort der Konjunkturoptimisten, schließlich wurde der erste Delta-Ausbruch erfolgreich gestoppt. Nun aber ist zur Septembermitte ein neuer Delta-Cluster aufgetaucht, der die Provinz Fujian lahmlegt. Hinzu kommt die Anweisung Pekings, dass Familien mit Schulkindern zur in Kürze anstehenden großen Urlaubssaison rund um Mondfest und Nationalfeiertag zu Hause bleiben müssen. Damit erwischt es erneut wesentliche Bereiche des Dienstsektors. Der nächste Konsumdämpfer ist programmiert.

Die abgeschwächte Inlandsnachfrage setzt in Verbindung mit scharf ansteigenden Erzeugerpreisen auch der Produktionsseite zu und lässt weitere Schwungverluste in der Industrie befürchten. Wenn gleichzeitig auch die Bauaktivität und der Wohnungsmarkt aus dem Tritt kommen, wird es zusehends ungemütlich. Peking ist auf einen Kurs eingeschwenkt, der einige Konjunkturrisiken zeitigt. Leider verliert dabei die schöne „Pain-Gain-Gleichung“ einiges an ihrem tröstenden Charme, wenn man davon ausgehen muss, dass sich die Kurzfristschmerzen in Serie wiederholen.