DAS KARLSRUHER URTEIL

Scholz beschwört Zusammenhalt

EU-Kommission: Europäisches Recht hat Vorrang

Scholz beschwört Zusammenhalt

wf/ahe Berlin/Brüssel – Bundesregierung und Regierungskoalition im Bundestag sehen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB) ihre Haltung bestätigt, für die Opposition in Berlin legt es Versagen der Regierungen in Europa offen. Das Ankaufprogramm sei keine monetäre Staatsfinanzierung und stehe im Einklang mit dem Grundgesetz, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Dies habe das Gericht bestätigt. Die Frist für die EZB von drei Monaten, um die Verhältnismäßigkeit der Ankäufe darzulegen, bezeichnete Scholz als lang. “Der Zusammenhalt in der europäischen Währungsunion steht außer Frage”, unterstrich der Minister. Gerade in der Coronakrise gebe die gemeinsame Währung und die gemeinsame Geldpolitik Halt.Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich in der Fraktionssitzung der CDU/CSU. Nach Angaben von Teilnehmern sagte sie, das Urteil sei von Bedeutung, weil es auf die Grenzen des Handelns der EZB eingehe, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht eine andere Position als die EZB bezogen. Merkel habe eine eigene Bewertung vermieden, hieß es.Die Unionsfraktion wird in den Bundestag eine Initiative einbringen, um den EZB-Rat aufzufordern, innerhalb von drei Monaten eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für das PSPP vorzulegen. Dies kündigte der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU, Eckhardt Rehberg, an. Damit komme der Bundestag der vom Verfassungsgericht geforderten Verantwortung nach. Christian Petry, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, wertete die Entscheidung als Scheitern der Gegner der EZB-Ankaufspolitik. Auch er drang auf die Nachlieferung des EZB-Rates. Zugleich hielt er fest, die Entscheidung dokumentiere die Defizite der Regierungschefs im EU-Rat. Sie hätten die Bewältigung der aktuellen Krise und der des letzten Jahrzehnts vor allem der EZB überlassen. Für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr steht nach dem Urteil fest, die EZB dürfe nicht dauerhaft die Probleme der Eurozone lösen. Lisa Paus, Sprecherin für Finanzpolitik der Grünen, wertete das Urteil als Schuss vor den Bug der Bundesregierung. “Die Verantwortung für den Zusammenhalt des Euros vor allem auf die Europäische Zentralbank abzuschieben, wird nicht weiter funktionieren” erklärte Paus. Es sei “Zeit für ein whatever-it-takes der Bundesregierung”. Kritik auch an BerlinDie EU-Kommission erinnerte unterdessen daran, dass europäisches Recht immer Vorrang gegenüber nationalen Regeln habe. Die Urteile des EuGH seien für alle Mitgliedstaaten bindend, betonte ein Sprecher der Brüsseler Behörde und verwies zugleich darauf, dass die Kommission die Unabhängigkeit der EZB stets respektiert habe. Für weitergehende Stellungnahmen müsse nun das Urteil im Detail analysiert werden, hieß es in Brüssel. Der EuGH selbst erklärte auf Anfrage nur, man kommentiere Urteile nationaler Gerichte nicht. Aus dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments (Econ) kamen Forderungen, die vom Verfassungsgericht aufgeworfenen offenen Fragen rund um die Verhältnismäßigkeit nun schnell zu klären, damit EZB und Bundesbank handlungsfähig bleiben. Die Forderung nach einer Verhältnismäßigkeitsabwägung stelle auch nicht die Unabhängigkeit der EZB in Frage, betonte der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. “Es handelt sich um eine formale Hürde, die nun schnell genommen werden muss.” Der SPD-Abgeordnete Joachim Schuster verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die EZB derzeit der verlässlichste Krisenmanager im Euroraum sei. Die Zentralbank müsse dabei immer wieder einspringen, wo viele europäische Staats und Regierungschefs untätig blieben – auch derzeit in der Corona-Pandemie.