ANSICHTSSACHE

Schon wieder ein Sündenfall bei der Mehrwertsteuer

Börsen-Zeitung, 22.8.2014 Routiniert hat die Große Koalition kurz vor der Sommerpause die Fokussierung der Medien und der Öffentlichkeit auf die Fußballweltmeisterschaft genutzt. In seiner letzten Sitzungswoche beschloss der Bundestag quasi...

Schon wieder ein Sündenfall bei der Mehrwertsteuer

Routiniert hat die Große Koalition kurz vor der Sommerpause die Fokussierung der Medien und der Öffentlichkeit auf die Fußballweltmeisterschaft genutzt. In seiner letzten Sitzungswoche beschloss der Bundestag quasi unbemerkt die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Hörbücher. Die begünstigte Branche hielt sich wohlweislich medial zurück und wird den Preisvorteil gewiss selbstverständlich an die Kunden weitergeben, statt profan ihre Marge zu erhöhen … Entlarvende ArgumentePolitiker indes können auch dann nicht von Pressemitteilungen lassen, wenn eigentlich niemand aufmerksam gemacht werden soll. Deshalb wissen wir nun von einem kultur- und medienpolitischen Sprecher, dass der Schritt “einen weiteren Mosaikstein in der Förderung der Buchwirtschaft” darstellt. Besser kann man nicht deutlich machen, dass es bei ermäßigten Mehrwertsteuersätzen nicht um soziale Belange geht. Noch entlarvender: “Die ermäßigte Besteuerung von Hörbüchern entspricht einer lange erhobenen Forderung der Buchbranche.” Wenn tatsächlich die Länge des Erhebens einer Forderung entscheidet – wieso kommt dann die Bundesregierung bei der Steuervereinfachung nicht voran?Zur Rechtfertigung des Unsinns wird es in der Presseverlautbarung erst richtig schön: “Die Digitalisierung hat uns gelehrt: Entscheidend ist der Inhalt, nicht der Übertragungsweg oder das Medium.” Klingt durchdacht, ist es aber nicht: Wieso ist “Summertime Sadness” von Lana del Rey auf CD mit 19 % Mehrwertsteuer bedacht, live dargeboten in Berlin aber nur mit 7 %? Gleicher Inhalt, nur anderer Übertragungsweg! Vermutlich bringt das die Gerechtigkeitslückenschließer der Großen Koalition, kurz GroKo, bald zum nächsten Schritt, eine Ausnahme führt stets zur nächsten: 7 % auch auf CDs anzuwenden. Wegen der bibeltextorientierten Weihnachtsoratorien war das regierungsintern schon thematisiert worden, auch manche Rapper-Aufnahme hat mehr von einem Hörbuch als mit Musik zu tun. Alles nur verschlimmertSummertime Sadness ist jedenfalls angebracht, weil die Große Koalition nicht nur nichts für Steuervereinfachung tut, sondern im Gegenteil die Komplexität noch erhöht und weitere Gestaltungsspielräume schafft. Schwarz-Gelb hatte wenigstens noch das Streben nach Mehrwertsteuervereinfachung im Koalitionsvertrag stehen. Die einzige Veränderung bei der Mehrwertsteuer, die real wurde, war allerdings die unselige Hotel-Subvention mit den für viele Geschäftsreisende spürbaren Frühstücksfolgekomplikationen und einem Steuerausfall von jährlich knapp 1 Mrd. Euro. Die geplante Kommission dagegen tagte nie, die Ängste unter anderem vor tierfütternden Rentnern waren größer als die Ambitionen. Wenn sich nun auch die GroKo nicht traut, es zu verbessern – muss sie es verschlimmern?An einer durchgreifenden Vereinfachung bei der deutschen Mehrwertsteuer oder zumindest an einer Verbesserung durch kleine Schritte hängt nicht das Wohl und Wehe des Abendlandes. Und doch ist die Behandlung dieses gleichwohl wichtigen und reformüberfälligen Themas symptomatisch.Erstens: Gestandene Bundestagsabgeordnete, deren Aufgabe es sein sollte, das tatsächlich größere Ganze zu sehen, zu bündeln und auszugleichen, lassen sich vorwiegend für Einzelinteressen einspannen. Zweitens: Das Grundproblem jeder Steuervereinfachung bleibt vorerst. Diejenigen, die etwas bekommen oder verteidigen, sind wild entschlossen. Diejenigen, die dafür zahlen, wollen die Zusammenhänge nicht sehen oder wähnen sich hilflos und wachen aus dem Schlaf allenfalls dann auf, wenn ihr eigener Steuervorteil bedroht scheint. Klare BranchensubventionDer ermäßigte Mehrwertsteuersatz bleibt eine Branchensubvention, kein Akt sozialer Gerechtigkeit. Übrigens tragen Besserverdienende neben dem weitaus größten Teil der gezahlten Einkommensteuer auch den überwiegenden Teil des Mehrwertsteueraufkommens. Ein einheitlicher Satz von 17 % auf alles wäre jedenfalls für den Fiskus haushaltsneutral, belastete niedrige Einkommen nicht übermäßig und Hartz-IV-Empfänger mit automatischer Anpassung an Lebenshaltungskosten gar nicht. Das wäre einfach, gerecht und drastisch entbürokratisierend. Der Trend, dass eine Ausnahme zur nächsten führt, wäre endlich gebrochen.Und weitere Steuergestaltung würde verhindert: Die Kaffeekette Starbucks, ohnehin nicht als eifriger Steuerzahler bekannt, will mehr “Drive-thrus” anbieten. Die Durchfahrschalter sind aus Unternehmenssicht lukrativ, weil der Latte Macchiato dort den gleichen Endpreis bringt wie beim “Indoor-Konsum”, draußen aber nur 7 % statt 19 % Mehrwertsteuer an den Staat abzuführen sind. Dazu kommen Personaleinsparungen, weil die Filialen betreut werden müssen, während der Kaffeeschnelltrinker seinen Wagen selbst sauber hält.Wollen wir derartige Fehlanreize setzen? Der Steuerzahler wird, wenn Steuern bald auf breiter Front steigen, nicht länger kritiklos bereit sein, die Vergünstigungen anderer mitzutragen. Insofern werden Schuldenbremse und Fiskalpakt als Steuervereinfacher wirken. Auch bei der Mehrwertsteuer: Mit ihrer nächsten Erhöhung stiege, durch die noch größere Differenz zwischen normalem und ermäßigtem Satz, auch der Ansporn, sich in Briefen an Politiker für weitere Ausnahmen einzusetzen. Gesundes Mineralwasser, demografisch bedeutsame Kinderwindeln und medizinisch notwendige Medikamente (alle heute 19 %) liegen uns doch sicher genauso am Herzen wie Jakobsmuscheln, getrocknete Schweineohren als Hundefutter und Eintrittskarten für Konzerte von Lana del Rey (derzeit 7 %)? Dann doch lieber alles als wichtig anerkennen und steuerlich gleichbehandeln!Prof. Dr. Michael Eilfort ist Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Michael Eilfort Die Vereinfachung der Mehrwertsteuer ist reformüberfällig. Alles ist als wichtig anzuerkennen und steuerlich gleichzubehandeln. ——-