Schonfrist für Spaniens Politik zu Ende

Bevorstehende Haushaltsplanung zwingt zur schnellen Regierungsbildung - EU hat Madrid im Visier

Schonfrist für Spaniens Politik zu Ende

Seit fast acht Monaten hat Spanien keine voll handlungsfähige Regierung. Der Wirtschaft hat dies bislang kaum geschadet. Doch der Druck auf die Politiker ist enorm, damit bald der Haushalt verabschiedet werden kann.Von Thilo Schäfer, MadridEigentlich hätte König Felipe gestern wie gewohnt zu Beginn seines Urlaubs auf Mallorca Ministerpräsident Mariano Rajoy in der Sommerresidenz in Palma zur wöchentlichen Arbeitssitzung empfangen. Doch wegen der kritischen politischen Lage flog der Monarch für einige Stunden zurück nach Madrid, wo ihn der Regierungschef über die jüngsten Gesprächsrunden zur Regierungsbildung unterrichtete. Nach dem gestrigen Treffen mit Albert Rivera, dem Vorsitzenden der liberalen Ciudadanos (“die Bürger”) zeigte sich Rajoy optimistischer als am Vortag, als er den Chef der Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, getroffen hatte. Rajoy ohne MehrheitBei der Parlamentswahl am 26. Juni wurde Rajoys konservative Volkspartei (PP) erneut stärkste Kraft, allerdings ist sie weit entfernt von einer ausreichenden Mehrheit – so wie schon beim Urnengang im Dezember. Rajoy benötigt zur Wiederwahl die Unterstützung anderer Parteien. Rivera bestätigte gestern, dass sich Ciudadanos bei einer Abstimmung enthalten würde. Das allein würde aber nicht reichen, solange die PSOE an ihrer Absicht festhält und mit der Linkskoalition um Podemos gegen Rajoy votiert. “Die Verantwortung liegt bei Sánchez”, sagte Rivera.Doch Sozialistenchef Sánchez spekuliert offenbar immer noch auf ein Scheitern Rajoys, was den Weg für eine Linksregierung von PSOE und Podemos ebnen könnte. Die Wahrscheinlichkeit dieser Alternative ist jedoch gering, denn Sánchez wäre auf die Stimmen der katalanischen und baskischen Nationalisten im Unterhaus angewiesen. Nachdem es zuletzt in Katalonien etwas ruhiger war, segnete das katalanische Parlament vergangene Woche mit den Stimmen der Nationalisten ein Gesetz ab, das die Abspaltung dieses Landesteils von Spanien vorantreiben soll. Obwohl das Verfassungsgericht dies umgehend für unrechtmäßig erklärte, sind die Spannungen zwischen Barcelona und Madrid nun wieder gestiegen. Es gilt daher als fast unmöglich, dass die mächtigen Regionalbosse der PSOE ihrem Chef Sánchez ein Linksbündnis, das die Stimmen der Nationalisten benötigt, erlauben würden. Die Sozialisten sind in ihrer Hochburg Andalusien und anderen Regionen entschieden gegen Zugeständnisse an die Separatisten, ganz zu schweigen von der Unabhängigkeit Kataloniens.Spaniens Wirtschaft hat sich gegenüber der politischen Ungewissheit als “überraschend resistent” bewiesen, wie Fitch am Montag erklärte. Die Ratingagentur erhöhte ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 2,7 % des Bruttoinlandsproduktes auf 2,9 %, so wie es bereits die spanische Regierung vor wenigen Tagen getan hatte. Doch es gibt erste Warnzeichen: Das Verbrauchervertrauen fiel im Juli, wie das staatliche Meinungsforschungsinstitut CIS gestern mitteilte. Die meisten Analysten sehen für 2017 eine Abschwächung des Wachstums auf 2 %. Wirtschaftsminister Luis de Guindos warnte vor kurzem, die aktuell gute Konjunkturlage sei kein Selbstläufer.Auf die zukünftige Regierung kommt auch eine gewaltige Aufgabe bei der Reduzierung des hohen Haushaltsdefizits zu. Spanien entging im Juli gerade noch einer Strafe durch die EU-Kommission wegen der erneuten Verfehlung des Defizitziels im vergangenen Jahr, als der Fehlbetrag bei 5,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag statt bei den angepeilten 4,2 %. Brüssel gewährte zudem ein Jahr Aufschub, bis 2017, um die 3-%-Grenze zu unterschreiten. Am 15. Oktober muss Madrid der Kommission die Haushaltsplanung vorlegen, sonst droht eine Strafe. Zu diesem Zweck müsste also spätestens Anfang September eine neue Regierung gewählt werden. “Bald sehr große Probleme””Wenn wir unseren Verpflichtungen nicht nachkommen, wird es bald sehr große Probleme geben”, mahnte Rajoy daher gestern nach seinem Treffen mit Rivera. Der Chef der Liberalen seinerseits beteuerte zwar, dass man auf keinen Fall in eine Koalition mit den Konservativen eintreten wolle. Er einigte sich mit Rajoy jedoch darauf, dass sich beide Parteien in den nächsten Wochen über den Haushalt austauschen.Der Druck liegt nun auf Sánchez. Die Verweigerung des Sozialisten hat sowohl mit persönlichen Ambitionen zu tun, da er im Falle einer Wiederwahl Rajoys wohl die Parteiführung los sein würde. Andererseits fürchtet die PSOE, dass ihnen Podemos lange vorhalten könnte, die Konservativen an der Macht gehalten zu haben.”Wenn die Sozialisten mit Nein stimmen, dann gibt es keine Amtseinführung”, so Rajoy, für den eine erneute Wahlwiederholung eine “Schande” wäre. Das Szenario einer Neuwahl im Winter galt bis vor kurzem als Tabu, nimmt allmählich jedoch Gestalt an. Eine mögliche Lösung, die in Madrid gehandelt wird, wäre ein Umlenken von Ciudadanos, um Rajoy ihre Stimme zu geben, statt sich zu enthalten – wodurch die PSOE durch die Enthaltung zumindest eines Teils ihrer Abgeordneten den Weg freimachen könnte. “Heute haben wir einen ersten Schritt gemacht”, sagte Rajoy gestern.