Eurozone

Schuldentragfähigkeit im Visier

In der Coronakrise haben die Euro-Staaten zu beispiellosen Hilfen für ihre Volkswirtschaften gegriffen und dafür ihre Verschuldung drastisch erhöht. Das hat eine neue Debatte über die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung ausgelöst.

Schuldentragfähigkeit im Visier

Von Mark Schrörs, Frankfurt

In der Coronakrise haben auch die Euro-Staaten zu beispiellosen Hilfen für ihre Volkswirtschaften gegriffen und dafür ihre Verschuldung drastisch erhöht. Die gesamtstaatliche Bruttoschuld im Eurogebiet wird nach der jüngsten Prognose der EU-Kommission von 85,8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2019 auf 102,4% im laufenden Jahr ansteigen. Für einzelne Länder wie Frankreich und Italien fällt das Plus noch stärker aus (siehe Grafik).

Da verwundert es nicht, dass eine neue Debatte über die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung im Euroraum begonnen hat – nur wenige Jahre nachdem die Euro-Staatsschuldenkrise nach der Weltfinanzkrise 2008/2009 einige Euro-Länder an den Rand eines Finanzkollapses gebracht hatte. Wie nachhaltig sind also die aktuellen Schuldenniveaus?

Wenn es nach den Ratingagenturen geht, ist das Urteil relativ klar: Trotz des enormen Anstiegs der Verschuldung haben die großen Agenturen nun viele Ratings stabil gehalten. Die Herabstufung Italiens durch Fitch auf „BBB-“ war eine Ausnahme. „Unsere Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Staaten hängt nicht nur von der fiskalischen Schuldenquote ab, sondern vielmehr von ihrer monetären Flexibilität, ihrer außenwirtschaftlichen Zahlungsbilanz und dem erwarteten Wirtschaftswachstum“, sagte Christian Esters, Senior Director Sovereign Ratings bei S&P Global Ratings, der Börsen-Zeitung. „Die kurz- und langfristigen verbesserten Wachstumsperspektiven und die sehr niedrigen Zinsen begrenzen die Auswirkungen der Coronakrise auf die Staatenratings“, so auch Dietmar Hornung, Associate Managing Director Sovereign Rating Group bei Moody’s, zur Börsen-Zeitung.

Anleihekäufe als „süßes Gift“

Die Bonitätswächter setzen also zum einen darauf, dass die Euro-Wirtschaft nach Überwindung der Pandemie kräftig wächst. „Eine Verzögerung der wirtschaftlichen Erholung könnte daher ein belastender Faktor für Sovereign Ratings in Europa sein“, so S&P-Direktor Esters. Der Optimismus gründet sich nicht zuletzt auf den 750-Mrd.-Euro-Corona-Wiederaufbaufonds der EU.

Noch viel entscheidender aber ist zum anderen die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB hat in der Krise vor allem das inzwischen auf 1,85 Bill. Euro angewach­sene Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP aufgelegt, in dessen Zu­ge sie vor allem Staatsanleihen kauft. In diesem Jahr wird das Eurosystem Anleihen in Höhe der gesamten Neuemissionen der Euro-Staaten aufkaufen. Moody’s-Experte Hornung ist ähnlich wie sein Kollege Esters überzeugt, dass die EZB auf absehbare Zeit für ausreichend Liquidität und günstige Finanzierungsbedingungen sorgen wird. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die EZB in nächster Zeit den Stecker zieht“, so Hornung. Auch den jüngsten Anstieg der Renditen sieht er eher gelassen: „Wegen der langen Laufzeiten vieler Euro-Anleihen würden sich steigende Zinsen nur sehr langsam in den Zinszahlungen der Staaten niederschlagen.“

Die zentrale Rolle der EZB sehen einige Beobachter durchaus kritisch – und auch als endlich an. Als ein großes Risiko gelten Fehlanreize („moral hazard“) für die Euro-Staaten und eine zunehmende Abhängigkeit von den EZB-Hilfen. Die DZBank bezeichnete PEPP in einer Ende April veröffentlichten Studie denn auch als „süßes Gift“. Friedrich Heinemann, Forschungsbereichsleiter und Experte für öffentliche Finanzwirtschaft am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), warnt zudem: „Die EZB wird nicht auf Dauer die Risikoaufschläge von Problemstaaten künstlich niedrig halten können, weil dies einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung darstellen würde.“ Umso wichtiger sei, dass der Corona-Wiederaufbauplan zu einem Erfolg werde: „Nur dann kann die Eurozone der nächsten Schuldenkrise entgehen.“