"So grün wie der Tannenbaum"

Konjunkturampel signalisiert freie Fahrt für deutsches Wirtschaftswachstum im Jahr 2021 - Corona-Pandemie bringt als Unbekannte die Rechnung durcheinander

"So grün wie der Tannenbaum"

Kurzfristig gesehen wird die deutsche Wirtschaft an einer technischen Rezession im Winterhalbjahr nicht vorbeikommen. Die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung steht für das Gesamtjahr 2021 gleichwohl deutlich auf Grün. Ein Wirtschaftswachstum von 5,4 % ist möglich – falls kein weiterer Schwarzer Schwan auftaucht.Von Alexandra Baude, FrankfurtDie kurzfristigen Wirtschaftsaussichten fallen derzeit gemischt aus. Während die Industrie kaum Auswirkungen des verschärften Lockdowns spürt, leiden Gastronomie, Freizeit- und Kulturangebote sowie der Nichtlebensmittel-Einzelhandel enorm unter den Restriktionen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Gemessen an den aktuellen Infektionszahlen – das Robert-Koch-Institut (RKI) vermeldete einen Tag vor Weihnachten eine Sieben-Tage-Inzidenz von 195,1, die Politik strebt einen Wert von 50 an – wird der bis 10. Januar geltende Lockdown weiter verlängert werden. Zügige Erholung erwartetLangfristig gesehen aber sieht es gar nicht so schlecht aus für die deutsche Wirtschaft, wie auch die aktuelle Konjunkturampel zeigt, die das Prognoseinstitut Kiel Economics für die Börsen-Zeitung berechnet. Für 2021 ist sie “so grün wie der Tannenbaum”, wie Institutsleiter Carsten-Patrick Meier sagte (siehe Grafik). Signalgeber sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt 2008/2009 befindet.Aktuell steht danach für 2021 ein Wachstum zu erwarten – die höchsten Wahrscheinlichkeiten sprechen Meier zufolge für ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5 bis 5,5 % und von 5,5 bis 6 %, die Punktprognose setzt er bei 5,4 %. Dies ist um einiges mehr als etwa die von der Bundesregierung angenommenen + 4,4 % oder die von der EU-Kommission angesetzten + 3,5 % – eine zügige Konjunkturerholung erwartet die Ökonomenzunft aber unisono.Als maßgeblichen Treiber des starke Anstiegs im System von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), benennt Meier die Ergebnisse der monatlichen Ifo-Umfrage zur Einschätzung der Geschäftslage, hinter der vor allem der Auftragsbestand in der Industrie steht. Die Lageeinschätzung hat sich dort seit Ende des ersten Lockdowns im Mai vergleichsweise rasch wieder aufgehellt. Die Erholung verlief damit viel schneller als die Gesundung von den Verwerfungen der ab Mai 2009 einsetzenden weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise (siehe Grafik). Im Dienstleistungssektor verlief die Erholung in den vergangenen drei Monaten wegen des erneuten Lockdowns allerdings schleppender.Noch ausgeprägter ist das im Vergleich zur Finanzkrise sehr zügige Erholungstempo bei den Geschäftserwartungen. Hier war das Vorkrisenniveau von Februar bereits im Juni erreicht, der langjährige Durchschnitt im September wurde deutlich übertroffen. Der erneute Anstieg der Infektionszahlen dämpfte dann allerdings die Stimmung wieder. Plausibel sei dies, so erklärt Meier, da die Pandemie quasi eine “technische Störung” – wenn auch von weltwirtschaftlichem Ausmaß – sei. Im Gegensatz dazu finde in Rezessionen zumeist eine Korrektur jahrelanger gesamtwirtschaftlicher Fehlentwicklungen statt, die Zeit erfordere.Dass im Dezember sowohl die Erwartungen der Unternehmen als auch deren Lageeinschätzung gestiegen sind, wertet Meier als Indiz, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion – die mit einem hohen Gewicht in die Berechnung des jahresdurchschnittlichen BIP-Zuwachses eingeht, auf den die Konjunkturampel abstellt, – trotz des erneuten Lockdowns nicht stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Dafür sprechen auch die jüngsten Ergebnisse der Einkaufsmanagerumfrage des Analysehauses IHS Markit. Klassischer Schwarzer SchwanSofern nicht “unbekannte Unbekannte” einen Strich durch diese Rechnung machen, wie Meier einschränkt, denn die Makroökonomik sei keine experimentelle Wissenschaft, müsse also ihre Erkenntnisse aus Daten ziehen, die sie selbst nicht beeinflussen könne. Aus diesem Grund seien ihre Erkenntnisse und Prognosen deutlich weniger verlässlich.Zu den “bekannten Unbekannten” des Gleichungssystems, die sich abschätzen lassen, addieren sich die “unbekannten Unbekannten”, also all jene Faktoren, von denen man im besten Fall entfernt ahnt, dass sie unter bestimmten Umständen einen Einfluss haben könnten, über die man aber sonst kaum etwas weiß. Dass eine Pandemie ein solcher klassischer Schwarzer Schwan sein kann, ist die Lehre des jetzt zu Ende gehenden Jahres. So wäre im Dezember 2019 für 2020 noch ein BIP-Anstieg zwischen 0 und 0,5 % errechnet worden, für eine Rezession in der Logik der Ampel wäre das wahrscheinlichste Minus zwischen 0 und 1 %, ein Rückgang um mehr als 2 % aber “als völlig unwahrscheinlich taxiert” worden, so Meier. Nachdem sich die “unbekannte Unbekannte” offenbart hat, ist klar, dass das BIP 2020 um 5 bis 6 % geschrumpft ist.