LAGARDE UND DIE EZB

So tickt die designierte EZB-Chefin

Was Lagarde sagt über Null- und Negativzinsen, das 2-Prozent-Inflationsziel, ein europäisches Safe Asset und die Rolle der Zentralbanken beim Klimawandel

So tickt die designierte EZB-Chefin

Von Mark Schrörs, FrankfurtAuf 48 eng bedruckten DIN-A4-Seiten hat die designierte EZB-Chefin Christine Lagarde vor der gestrigen Anhörung im EU-Parlament insgesamt 76 Fragen der EU-Abgeordneten beantwortet. Die teilweise sehr ausführlichen Antworten geben einen ersten Einblick in die Präsidentschaft der Französin. Einige zentrale Aussagen zu den wichtigsten Themen im Überblick: Zum EZB-Kurs unter Präsident Mario Draghi:”Insgesamt würde ich sagen, dass die Geldpolitik der EZB in den vergangenen acht Jahren effektiv und erfolgreich war. Insbesondere mit den seit Juni 2014 eingeleiteten Lockerungsmaßnahmen (…) ist es gelungen, auf dem Höhepunkt der Krise die Risiken von Deflation und Redominierung abzuwehren.”Zum aktuellen Wirtschaftsausblick und der EZB-Geldpolitik:”Die Wachstumsdynamik im Euroraum hat sich verlangsamt, und das Risiko für die Wachstumsaussichten ist nach unten gerichtet. Die Inflation bleibt gedämpft. Es ist daher klar, dass die Geldpolitik auf absehbare Zeit sehr akkommodierend bleiben muss.”Zum EZB-Instrumentenkasten:”Die EZB verfügt über ein umfassendes Instrumentarium und ist in der Lage, flexibel auf Eventualitäten zu reagieren, die die Aussichten für die Preisstabilität beeinflussen. Die unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen der EZB haben sich (…) bisher als mächtig erwiesen und können je nach Bedarf erweitert und angepasst werden.”Zu weiteren Zinssenkungen:”Während ich nicht glaube, dass die EZB die effektive untere Grenze der Leitzinsen erreicht hat, ist es klar, dass niedrige Zinsen Auswirkungen auf den Bankensektor und die Finanzstabilität im Allgemeinen haben. Daher ist es unerlässlich, genau zu beobachten, ob es in Zukunft zu negativen Nebenwirkungen kommen kann, je länger die Zinssätze niedrig sind.”Zur Kritik deutscher Sparer an Negativ- und Nullzinsen:”Spareinleger sind auch Verbraucher, Arbeitnehmer und Kreditnehmer. Als solche profitieren sie von einer stärkeren wirtschaftlichen Dynamik, einer niedrigeren Arbeitslosigkeit und niedrigeren Kreditkosten. Alles in allem wären die Bürger des Euroraums ohne die unkonventionelle Geldpolitik der EZB – einschließlich der Einführung negativer Zinssätze – insgesamt schlechter dran.”Zu neuen Nettoanleihekäufen und den selbst gesetzten Limits:”In der Vergangenheit hat die EZB gezeigt, dass es ihr nicht an Instrumenten mangelt. (…) Alle Maßnahmen sind durch das geldpolitische Mandat des Eurosystems beschränkt, und dies wird auch die Optionen für eine mögliche Wiederaufnahme der Nettowertpapierkäufe leiten. (…) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich die Flexibilität der in das Mandat der EZB eingebetteten Instrumente bestätigt. Das beinhaltet einen weiten Ermessensspielraum bei der Anpassung der Instrumente (…).”Zur geldpolitischen Normalisierung:”Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine ,Normalisierung der Politik` verfrüht. Daher ist es wichtig, alle politischen Instrumente auf dem Tisch zu behalten, um angemessen und verhältnismäßig zu reagieren, wenn die mittelfristigen Inflationsaussichten weiterhin unter dem Ziel der EZB bleiben.”Zu den Grenzen der EZB und der Geldpolitik:”Die EZB (…) wird auch die Erwartungen darüber managen müssen, was sie tun kann und was nicht (…). Die Geldpolitik ist zwar ein wirksames Instrument zur Stabilisierung des Wirtschaftszyklus, sie kann aber das längerfristige Wachstumspotenzial der Länder nicht erhöhen.”Zu einer Überprüfung des EZB-Rahmenwerks:”Da seit der letzten Strategieüberprüfung im Jahr 2003 einige Zeit vergangen ist, lohnt es sich, Lehren aus der Finanzkrise in Bezug auf Veränderungen im makroökonomischen Umfeld und im Inflationsprozess zu ziehen. Es könnte auch geprüft werden, wie die Geldpolitik der EZB die allgemeinen Wirtschaftspolitiken in der Europäischen Union am besten unterstützen kann – wie nachhaltiges und integratives Wachstum, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist.(…) Die operativen Rahmenwerke dürften anders aussehen als vor der Krise, einschließlich des Umfangs und der Struktur der Bilanzen und der Instrumente zur Umsetzung des geldpolitischen Kurses.”Zum EZB-Inflationszielwert von mittelfristig unter, aber nahe 2 %:”Die jüngste Klarstellung, dass das Inflationsziel der EZB symmetrisch ist, ist wichtig. Daraus ergibt sich, dass die EZB ebenso entschlossen ist, eine Inflation oberhalb ihres Inflationsziels zu bekämpfen wie eine Inflation unterhalb dieses Ziels.”Zur Unabhängigkeit der Zentralbanken:”Das Prinzip der Unabhängigkeit der Zentralbank hat den Zentralbanken auf der ganzen Welt – und der EZB – sehr gut gedient (…). Doch eine starke Unabhängigkeit der Zentralbank ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist eine starke Rechenschaftspflicht der Zentralbank (…).”Zur EZB-Kommunikation:”Ich glaube, dass die EZB ihre Kommunikation weiter verbessern kann, um sich besser verständlich zu machen und zu erklären, warum ihr Handeln für die Menschen und deren Leben von Bedeutung ist.(…) Die EZB könnte eine proaktivere Rolle übernehmen, indem sie zeigt, wie der Euro (…) und das eigene Handeln der EZB zum Wohle der Europäer und zum Wohlstand, zur Sicherheit und zum Zusammenhalt innerhalb der EU beigetragen haben.”Zur Reform der Währungsunion:”Die institutionelle Architektur des Euroraums muss sich in Richtung von mehr gemeinsamen Entscheidungen und einer besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik bewegen.(…) Auch fehlt der Architektur des Euroraums noch ein zentrales fiskalisches Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung.”Zur Vollendung der Bankenunion:”Ein europäisches Einlagensicherungssystem ist die fehlende Säule in der Architektur der Bankenunion.”Zu einem europäischen Safe Asset:”Bei guter Konzeption wäre ein gemeinsamer, sicherer staatlicher Vermögenswert von Vorteil, da er zur Finanzstabilität und Finanzintegration beitragen könnte.”Zu einer künftigen Erweiterung der Währungsunion:”Der Euro ist (…) das greifbarste Zeichen der europäischen Integration. Derzeit ist er die offizielle Währung für 19 EU-Mitgliedstaaten, und ich erwarte das und würde es begrüßen, wenn die übrigen EU-Mitgliedstaaten, die noch nicht an der einheitlichen Währung beteiligt sind, irgendwann beitreten würden.”Zur internationalen Rolle des Euro:”Ich begrüße die Initiative der Kommission vom vergangenen Jahr zur Stärkung der internationalen Rolle des Euro. Ich denke, die EZB muss eine Rolle spielen, wenn es darum geht, die Wirtschafts- und Finanzstabilität durch die Erfüllung ihres Preisstabilitätsmandats zu unterstützen.”Zur Angst vor einem globalen Währungskrieg:”Was die Risiken von ,Währungskriegen` betrifft, so stimme ich dem starken Konsens in der internationalen Gemeinschaft zu, auf wettbewerbsbedingte Abwertungen zu verzichten (…).”Zur Rolle der Zentralbanken im Kampf gegen den Klimawandel:”Zentralbanken und Aufsichtsbehörden können dazu beitragen, sich den Herausforderungen des Klimawandels zu stellen. (…) Meiner Meinung nach sollte die EZB einen wesentlichen Beitrag zu diesen Bemühungen leisten und erhebliche Mittel für diesen Prozess bereitstellen. (…) Die EZB unterstützt die Entwicklung einer Taxonomie, und sobald sie vereinbart ist, wird sie meiner Meinung nach die Einbeziehung von Umweltbelangen in die Portfolios der Zentralbanken erleichtern.”Zur geplanten Facebook-Währung Libra und Kryptowährungen:”Während Kryptoassets wie Stablecoins und die ihnen zugrunde liegende Blockchain-Technologie dazu beitragen können, Chancen insbesondere im Bereich des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu nutzen, ist zu bedenken, dass ihre weitverbreitete Nutzung auch Risiken für die Geldpolitik, die Finanzstabilität und das reibungslose Funktionieren und das Vertrauen der Öffentlichkeit in das globale Zahlungssystem mit sich bringen könnte.”Zur Zukunft des Bargelds:”Obwohl die Geschwindigkeit eines künftigen Rückgangs der Verwendung von Bargeld für Transaktionszwecke schwer vorherzusagen ist, scheint es offensichtlich, dass es dazu kommen wird.” Zu den Risiken eines No-Deal-Brexits:”Während die Behörden erhebliche Anstrengungen zur Vorbereitung unternommen haben, könnten sich Tail-Risiken in einem No-Deal-Szenario ergeben, die auch mit anderen bestehenden Risiken interagieren könnten. Ein derartiges ungünstiges Szenario, wenn es eintreten sollte, würde sich wahrscheinlich plötzlich ereignen und könnte zu einer erheblichen Volatilität an den Finanzmärkten und einem Anstieg der Risikoprämien führen. (…) Allgemeiner gesagt, könnte ein No-Deal-Brexit zu erhöhten makroökonomischen Risiken führen, wenn er mit anderen globalen Schocks, wie etwa eskalierenden Handelsspannungen, interagieren würde.”