Italien

„Soziale Ungleichheiten reduzieren“

Der Ökonom Carlo Cottarelli arbeitet an einem Wirtschaftsprogramm, um Italien aus der Krise zu helfen. Dabei will er vor allem den sozialen Fahrstuhl wieder reparieren.

„Soziale Ungleichheiten reduzieren“

bl Mailand

Der ehemalige Sparkommissar der Regierung Monti und Ex-IWF-Ökonom Carlo Cottarelli arbeitet mit einem Team linksliberaler Politiker und Ökonomen an einem Wirtschaftsprogramm für Italien. Gegenüber der Börsen-Zeitung sagte Cottarelli, er habe derzeit aber nicht vor, selbst in die Politik zu gehen. Ziel der Initiative sei nicht die Erarbeitung eines Riesenprogramms, das dann in irgendwelchen Schubladen lande. Man wolle vielmehr regelmäßig konkrete Vorschläge für die Gesundung des Landes machen. Mit dabei in dem Team sind die Ex-EU-Kommissarin und Politikerin Emma Bonino und der frühere Industrieminister Carlo Calenda.

Cottarelli teilt die Ansicht des neuen Premierministers Mario Draghi, dass jetzt der Kampf gegen die Corona-Pandemie absoluten Vorrang haben muss. „Das ist unser Feind Nummer eins.“ Corona habe ein Land getroffen, das eine 20 Jahre dauernde Krise hinter sich habe, „mit stagnierender Produktivität und einem sich dramatisch vergrößernden Abstand zu Deutschland“. Italien sei im internationalen Wettbewerb dramatisch zurückgefallen, sagt Cottarelli.

Die 209 Mrd. Euro, die Italien im Rahmen des europäischen Wiederaufbauprogramms in Form von Zuschüssen und sehr günstigen Krediten erhalte, seien die große Gelegenheit, endlich die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. „Jetzt ist es an uns, diese Chance zu nutzen“, meint er. Es brauche Investitionen des Staates in die Bildung, in Forschung und Entwicklung, in die Infrastruktur. „Der Staat muss außerdem die Bedingungen dafür schaffen, dass private Unternehmen wieder in Italien investieren.“ Das betreffe die Unternehmenssteuern, aber auch die Einkommensteuer. Das italienische Steuersystem belohne Leistung nicht und belaste vor allem die unteren und mittleren Einkommensgruppen. Er wünsche sich ein Einkommensteuersystem ähnlich wie in Deutschland.

Wie ein Reformprogramm liest sich Cottarellis neues Buch „In die Hölle und zurück“. Für den Ökonomen funktioniert der soziale Fahrstuhl längst nicht mehr. Der Staat müsse für mehr Chancengleichheit sorgen, mehr Betreuungseinrichtungen einrichten, um Frauen Zugang zum Arbeitsleben zu verschaffen und die Integration sozial Benachteiligter zu erleichtern. Außerdem plädiert Cottarelli dafür, in Italien geborene Kinder von Zuwanderern zu legalisieren: „Wer Italienisch spricht, sich wie ein Italiener kleidet und verhält, ist für mich Italiener.“ Italien brauche Zuwanderer aufgrund der dramatischen demografischen Entwicklung.

Ziel muss es laut Cottarelli sein, zu große soziale Ungleichheiten, die das Wachstum hemmen, auch durch Transfers und Solidarität zu reduzieren: Dann sei sozialer Aufstieg wieder möglich, und dann lohne sich Leistung und schlage sich in höherem Verdienst nieder. Seien diese Bedingungen erfüllt, könne Italien wieder wachsen und seine hohen Schulden reduzieren, hofft Cottarelli.

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