Sport bringt Höchstleistungen
Sport bringt Höchstleistungen
Überproportionale Steigerungen bei Umsatz, Produktion und Erwerbstätigenzahl
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Sport bringt nicht nur Menschen zu Höchstleistungen − er liefert auch selbst welche. In den vergangenen zehn Jahren sind die Umsätze mit Sport- und Campingartikeln ebenso wie die Produktion und die Beschäftigtenzahl bei den Sportdienstleistern um einiges kräftiger gestiegen als die jeweiligen Vergleichsgrößen.
Sportbegeisterte kommen in diesem Jahr voll auf ihre Kosten: Gestartet wurde im Januar mit der Handball-EM, im Februar/März folgten die Six Nations 2024, also die Rugby-EM, im Mai dann die Eishockey-WM. Die Fußball-EM steht direkt vor der Tür und bis zu den Olympischen Spielen ist es auch nicht mehr lang hin. Während bei diesen Events die Massen den Profi- und Spitzensportlern zujubeln, werden immer mehr Menschen auch selbst aktiv oder noch aktiver als ohnehin. 34 Minuten macht der Durchschnittsdeutsche täglich Sport, das sind 5 Minuten mehr als noch vor zehn Jahren. Dass die Männer mit 36 Minuten im Schnitt täglich mehr sporteln als Frauen mit 32 Minuten, liegt leider sicherlich immer noch daran, dass das weibliche Geschlecht auch heutzutage noch den überwiegenden Teil der Haus- und Carearbeit leistet.
Deutlich höhere Sprünge als in der gesamten Wirtschaft
Wer mehr Sport treibt, braucht jedenfalls auch mehr Equipment: Dementsprechend haben von 2013 bis 2023 die Umsätze mit Sport- und Campingartikeln real, also preisbereinigt, um 41,5% zugelegt, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) ermittelt hat. Der gesamte stationäre Einzelhandel steigerte seine Erlöse in dieser Zeitspanne hingegen nur um 9,1%. Die heimische Produktion von Sportgeräten wie Laufbänder, Skier oder Tennisschläger wiederum wurde wertmäßig um 35,3% innerhalb dieser zehn Jahre gesteigert. Ebenfalls überproportional, wie die Wiesbadener Statistiker mit Blick auf das Plus von 21,5% des Wertes der zum Absatz bestimmten Produktion des verarbeitenden Gewerbes insgesamt berichten.
Ein Fünftel mehr Dienstleister
Sport ist also in vielerlei Hinsicht ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. So erwirtschafteten die 71 Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten, die vergangenes Jahr in Deutschland schwerpunktmäßig Sportgeräte herstellten, einen Umsatz von gut 845,6 Mill. Euro, mehr als zwei Drittel davon im Inland. Zehn Jahre zuvor hatten die damals 64 Betriebe in dieser Größenordnung knapp 726,2 Mill. Euro erlöst. Die wichtigsten Abnehmerländer waren 2023 Österreich (12,8%), Frankreich (11,1%) und die Schweiz (9,6%). Knapp die Hälfte der nach Deutschland importierten Sportgeräte stammt wiederum aus China, weitere je um die 5% kommen aus Tschechien und den USA. Und auch im Dienstleistungssektor meldet Destatis einen überproportionalen Sprung: Während die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt seit 2013 um 8,8% zulegte, stieg die Zahl der Sportdienstleister, etwa Trainer oder Betreiber von Sportanlagen, um 19,3%.
Die Mannschaft muss performen
Wer nun glaubt, dass das Ausrichten eines sportlichen Großereignisses der Gesamtwirtschaft ebensolche Sprünge bringt, dürfte beim Blick in die Vergangenheit enttäuscht werden. Hauptfaktor, so zeigen die Analysen von Volkswirten, ist das Abschneiden der deutschen Mannschaft. „Die EM zu gewinnen ist mehr wert, als sie auszurichten“, heißt es etwa bei der Deutschen Bank. Große Sportereignisse würden tatsächlich mehr Umsatz für Tourismus und Gastgewerbe oder den Elektronikhandel bringen, analysiert ING-Chefökonom Carsten Brzeski. Nach dem Großereignis breche der einheimische Konsum dann aber auch ein. „Im Nachhinein zeigen sich allerdings kaum nachhaltige gesamtwirtschaftliche Folgen“, urteilt Brzeski. Eine erfolgreiche Turnierteilnahme habe in der Vergangenheit die Portemonnaies der Verbraucher zwar nicht weit geöffnet, ein schlechtes Abschneiden habe sie andererseits auch nicht in eine tiefe Depression gestürzt.
Beim Sommermärchen 2006 etwa wurden in Deutschland 700.000 zusätzliche Übernachtungen registriert und Mehreinnahmen im Tourismus von einer guten halben Milliarde Euro. „Nicht unerheblich, aber gesamtwirtschaftlich gering“, so Brzeski. Der Einzelhandelsverband HDE rechnet mit zusätzlichen Erlösen von 3,8 Mrd Euro − vor allem bei Lebensmitteln und Fanartikeln.
„Die Ausrichtung des Turniers selbst ist vielleicht 0,1% des vierteljährlichen BIP als vorübergehenden Schub wert“, heißt es bei der Deutschen Bank. Dies sei kaum ein Katalysator für den laufenden Wirtschaftsaufschwung. „Aber dieser Effekt könnte größer und nachhaltiger sein, wenn Deutschland so etwas wie das ,Sommermärchen' der Fußballweltmeisterschaft 2006 wiederholen würde.“
„Keinerlei bedeutsame Auswirkungen“
Ähnlich ernüchternd urteilt auch das Ifo-Institut. Die Stimmung in der deutschen Volkswirtschaft habe sich bei Fußball-WMs und EMs kaum verbessert, heißt es in München. „Bei der WM 2006 in Deutschland gab es zunächst eine Vorfreude in den Ifo-Konjunkturumfragen“, berichtet Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. In den sechs Monaten vor dem Sportevent sei die Wahrscheinlichkeit für „bessere Geschäfte“ in den kommenden Monaten um 1,1% gestiegen. Nach der WM hatten die Firmen ihre Geschäftslage tatsächlich etwas besser empfunden, für „gut“ stieg die Wahrscheinlichkeit um 1,1%. „Während der WM und danach gab es dann aber keinerlei Effekte mehr bei den Erwartungen“, so Wohlrabe: „Wir vermuten Ähnliches jetzt zur EM.“ Im Gastgewerbe, also Hotels und Gaststätten, sowie der Branche Nahrungsmittel und Getränke fanden die Wirtschaftsforscher bei der Heim-WM 2006 „keinerlei bedeutsame Auswirkungen“, sagt Wohlrabe.
Zweitbeliebtestes Heimtrikot
Zwischen 21 und 50 Euro wollen die Deutschen für Fanartikel ausgeben, ergab eine Umfrage der Universität Hohenheim in Stuttgart. Zwar würden immer noch rund 58% der 1.000 Befragten gar keine Fanartikel kaufen, aber bei der WM 2022 in Katar waren dies sogar fast 73%, erklärt Studienleiter Markus Voeth. Am beliebtesten sei das Trikot der deutschen Nationalmannschaft, das sich fast jeder Fünfte kaufen wolle, gefolgt von Schal und Deutschland-Fahne mit jeweils rund 12%. Mit 65% Zustimmung ist das diesjährige DFB-Heimtrikot übrigens das zweitbeliebteste der vergangenen 20 Jahre.
In einer ING-Umfrage zeigten sich die Fans bereit, im Schnitt 23,60 Euro für Merchandise auszugeben. Umgerechnet auf rund 70 Millionen volljährige Personen hierzulande wären das aber immerhin fast 1,7 Mrd. Euro, betont Brzeski. 28,90 Euro mehr als in einem normalen Monat planen die Befragten für Essensbestellungen zum Liefern oder Mitnehmen. Wird die EM außer Haus verfolgt, liegt das Budget im Schnitt bei 59,90 Euro. Allerdings würden 37% die EM bevorzugt zu Hause schauen, weitere 19% zwar nicht im eigenen Zuhause, aber in dem von Freunden und/oder Verwandten.
Arbeitgeber brauchen sich der ING-Auswertung zufolge allerdings weder allzugroße Hoffnungen noch Sorgen um die Produktivität ihrer Mitarbeiter machen: Zwar gibt über die Hälfte der berufstätigen Befragten an, sich zumindest ab und zu ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft auch während ihrer Arbeitszeit anschauen zu wollen. „Da die Gruppenspiele der deutschen Mannschaft und alle Ausscheidungsspiele allerdings erst um 18 bzw. 21 Uhr beginnen, dürfte ein eventueller negativer Effekt auf die Wirtschaft sehr übersichtlich bleiben“, beruhigt Brzeski. 16% rechnen dafür damit, dass ein deutscher Sieg ihre Produktivität am Folgetag erhöhen würde, während 7% in diesem Fall nicht so recht bei der Sache wären. „Diese Produktivitätssteigerung könnte auch nötig sein, um die verlorene Arbeitszeit durch Gespräche mit Kollegen über das Spiel zu kompensieren.“
Sponsoring lohnt sich nicht
Die Umfrage bietet auch Unerfreuliches für die Sponsoren: Ob sich das finanzielle Engagement wirklich lohne, sei mehr denn je fraglich. „Direkte Kaufwirkungen werden so kaum ausgelöst“, betont Voeth. Nur rund 12% würden beim Einkauf von Produkten oder Dienstleistungen vor allem nach Marken schauen, die die EM sponsern. Andererseits denke ein Drittel der Befragten, dass sich die EM positiv auf das Image der Sponsoren auswirken wird.