Staat hat beim Inflationsausgleich profitiert
Der Ausgleich der inflationsgetriebenen kalten Progression bei der Einkommenssteuer ist der Bundesregierung nur für 2023 gelungen – zumindest nahezu. 2022 wurden die Steuerzahler durch inflationsbedingte Steuererhöhungen mit 10,9 Mrd. Euro belastet. Zu diesem Ergebnis kommt das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo nach eigenen Berechnungen. Bereinigt um die geringeren steuerlichen Beschäftigungsanreize seien dem Staat Mehreinnahmen von 9,3 Mrd. Euro durch die kalte Progression geblieben. Vor allem die Mittelschicht und höhere Einkommen hätten diese Last getragen. Die Wissenschaftler plädieren für einen „Tarif auf Rädern“, mit dem der Inflationseffekt automatisch ausgeglichen würde. Die Eckwerte der Tarifzonen sollten jährlich in Höhe des Wachstums der nominalen Einkommen angepasst werden, erklärte Florian Dorn, Ifo-Forscher und Co-Autor der Studie.
Aktuell muss die Bundesregierungen in einem Bericht alle zwei Jahre über die kalte Progression informieren, jedoch ohne Folgen. Die Entscheidung über einen möglichen Ausgleich liegt beim Bundestag. Verpflichtet ist der Gesetzgeber nur, das steuerfreie Existenzminimum anzupassen. In vielen Ländern werde der Steuertarif indexiert und automatisch mit dem Wachstum der Verbraucherpreise oder der Nominaleinkommen fortgeschrieben, berichtet das Ifo-Institut. Dies sei dann zielgenau auf die einzelnen Einkommensgruppen zugeschnitten.
Bei der kalten Progression rutschen die Steuerzahler durch Lohnsteigerungen in höhere Steuerprogressionsstufen. Sie zahlen überproportional mehr Abgaben. Unterschieden wird nach der kalten Progression im engeren Sinne, die sich auf die rein inflationsbedingte Erhöhung des Durchschnittssteuersatzes bezieht. Nach diesem Konzept lag die Steuermehrbelastung 2022 nur bei 7,2 Mrd. Euro.
Das Ifo betrachtet das Konzept der kalten Progression im weiteren Sinne: Berücksichtigt wird die Zunahme der Durchschnittssteuerbelastung durch das Wachstum des zu versteuernden Einkommens, unabhängig vom Anteil der Inflation daran. „Bei der Beseitigung der kalten Progression sollte sich die Politik nicht auf den reinen Inflationsausgleich beschränken“, verlangte Dorn. Ökonomisch sinnvoller wäre es, statt der Inflationsrate das durchschnittliche Wachstum der nominalen Einkommen zu berücksichtigen, so Dorn. Andernfalls würde der Staat selbst dann einen zunehmenden Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen beanspruchen, wenn die realen Einkommen ohne Inflation stiegen.