Staatseingriffe wieder "in Mode"

WTO-Jahresbericht: Mehr als 100 Länder verfolgen aktive Industriestrategie - Staatliche Hilfen nehmen zu

Staatseingriffe wieder "in Mode"

Deutschland und die Europäische Union sind nicht allein: In ihrem Jahresbericht zum Zustand der Weltwirtschaft identifiziert die Welthandelsorganisation (WTO) 115 Länder, die aktive Industriepolitik betreiben. Das soll den technologischen Umbruch beschleunigen – gleichzeitig nehmen die Nebenwirkungen zu.rec Frankfurt – Im Zuge der technologischen Umbrüche nehmen in weiten Teilen der Welt staatliche Hilfen an die Wirtschaft zu. Die Welthandelsorganisation (WTO) diagnostiziert in ihrem Jahresbericht zur Lage von Welthandel und Weltwirtschaft eine “neue Welle” an Staatseingriffen. Damit verfolgten Regierungen zwar überwiegend den Zweck, technologische Innovationen zu beschleunigen. Doch zielten die Eingriffe in zunehmenden Maße darauf ab, Unternehmen aus älteren Industriezweigen, deren Geschäftsmodelle in Bedrängnis geraten sind, zu schützen.Insgesamt identifizieren die Handelsexperten der Genfer Organisation 115 Länder, die eine oder mehrere Formen aktiver Industriepolitik betreiben. Explizit führen sie Deutschland mit der im vorigen Jahr beschlossenen “Industriestrategie 2030” auf. Mit ihr zielt die Bundesregierung unter anderem darauf ab, als kritisch erachtete Technologien und Unternehmen zu schützen und den seit Jahren zurückgehenden Anteil der Industrie an der hiesigen Wertschöpfung zu erhöhen.Wie der WTO-Bericht zeigt, befindet sich die große Koalition mit ihrer viel kritisierten Herangehensweise in großer Gesellschaft. Im Jahrzehnt seit der Weltfinanzkrise seien staatliche Interventionen “wieder in Mode gekommen”, heißt es. Die neue Phase aktiver Industriepolitik sei von dem Bemühen gekennzeichnet, den Übergang zur Digitalwirtschaft zu unterstützen. Kooperierten die Staaten dabei, könne dies positiv auf andere Länder ausstrahlen. Ansonsten drohten Nebenwirkungen, die den freien Handel stören, Investitionen behindern und unfaire Geschäftspraktiken befördern könnten.Diese Nebenwirkungen haben in den letzten Jahren zugenommen. Der WTO zufolge setzen Regierungen in zunehmendem Maße Instrumente ein, um ältere Industriesektoren, deren Geschäftsmodelle in Bedrängnis geraten, gegen Konkurrenz zu schützen. Solche Instrumente “defensiver Natur” kommen der Analyse zufolge in erster Linie in “traditionellen Sektoren wie Mineralien, Metalle und der chemischen Industrie” zum Einsatz, aber auch in der Textil- und Bekleidungsbranche, bei elektronischen Maschinen und bei Transportausrüstung. Seit 2010 hat die Zahl verschiedener Staatshilfen deutlich zugenommen, allein in den Jahren 2017 und 2018 – den jüngsten in der Erhebung – kamen jeweils mehr als 400 hinzu (siehe Grafik).Dabei gehe der Trend seit einigen Jahren von Zuschüssen verstärkt zum Einsatz staatlicher Kredite. Auch Anti-Dumping-Maßnahmen kommen demnach vermehrt zum Einsatz. Besonders schädlich, so die WTO, seien Strategien, “die darauf zielen, nationale Champions zu erschaffen, und die auf bestimmte Industrien abzielen”. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier stand voriges Jahr für den Ansatz in der Kritik. Die EU-Kommission, die im Bereich nicht ausdrücklich aufgeführt wird, hat von einer solchen Idee zwar Abstand genommen, will aber in Schlüsselsektoren Wertschöpfung zurück in den Binnenmarkt holen beziehungsweise ausländische Konkurrenz fernhalten.”Internationale Zusammenarbeit und Regeln”, so die WTO, “sind mehr denn je erforderlich, um sicherzustellen, dass der neue Fokus auf Innovations- und Technologiepolitik die positiven Auswirkungen maximiert und die negativen minimiert.” Angesichts des vom Handels- zum Technologiekrieg mutierten Konflikts zwischen den USA und China ein frommer Wunsch: Just am Montag sickerte durch, dass Washington 89 weitere chinesische Firmen aus Luft- und Raumfahrt auf eine schwarze Liste setzen will, um ihnen den Kauf von US-Technologie zu verbieten.