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Stahl braucht mehr als einen "Deal"

Börsen-Zeitung, 24.8.2018 Die Vereinbarungen zwischen US-Präsident Trump und EU-Kommissionspräsident Juncker vor einem Monat haben zahlreiche Beobachter doch überrascht. Gut ist, dass die transatlantische Eskalationsspirale in der Handelspolitik...

Stahl braucht mehr als einen "Deal"

Die Vereinbarungen zwischen US-Präsident Trump und EU-Kommissionspräsident Juncker vor einem Monat haben zahlreiche Beobachter doch überrascht. Gut ist, dass die transatlantische Eskalationsspirale in der Handelspolitik zunächst einmal angehalten wurde.Ob der ausgehandelte Deal jedoch mehr als eine “Atempause” darstellt, wird sich möglicherweise rasch zeigen. Eine Voraussetzung für eine echte Wende ist, dass EU und USA jetzt die Chance ergreifen, die dringend notwendige Reform der Welthandelsordnung anzugehen, weil damit an den Ursachen von strukturellen Fehlentwicklungen angesetzt wird, die den internationalen Handel schon seit längerem belasten. Der Stahl ist hierfür ein gutes Beispiel.Zur Erinnerung: Vor drei Jahren hatte die Importkrise auf dem europäischen Stahlmarkt, ausgelöst durch ein breitflächiges Dumping chinesischer Anbieter, für die heimischen Stahlunternehmen existenzielle Züge angenommen. Seitdem ist es der EU gelungen, mit Hilfe eines konsequenteren Einsatzes der handelspolitischen Schutzinstrumente, insbesondere von Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen, die Krise zu entschärfen. Eine durchgreifende Lösung blieb jedoch aus. Sinkende Exporte aus China wurden durch steigende Ausfuhren anderer nichtmarktwirtschaftlich orientierter Länder ersetzt, und die chinesischen Überkapazitäten wurden zwar reduziert, aber nicht beseitigt. Im vergangenen Jahr lagen die Einfuhren auf dem europäischen Stahlmarkt auf einem Rekordniveau. Wie ein BrandbeschleunigerIn dieser für die Stahlindustrie in der EU und Deutschland bedrohlichen Situation ist der protektionistische Kurs der US-Administration, die den Stahl in den Fokus genommen hat, hinzugekommen und wirkt wie ein Brandbeschleuniger: Seit dem 1. Juni werden Exporte in die USA mit einem Zoll in Höhe von 25 % belegt, angeblich zum Schutz der nationalen Sicherheit. Damit wird der Zugang zum wichtigsten Stahl-Absatzmarkt außerhalb der EU weitgehend versperrt. Im Fall von zusätzlichen Zöllen auf Automobile, der wichtigsten Abnehmerbranche der Stahlindustrie in Deutschland, wäre ein weiterer erheblicher Belastungsfaktor hinzugekommen. Gut also, dass die Autozölle nun zunächst nicht eingeführt werden und dass im Rahmen der weiteren Verhandlungen auch über die Aufhebung der Strafzölle auf Stahl gesprochen werden soll.Allerdings darf nicht vergessen werden, dass selbst im Falle einer Befreiung der EU der US-Stahlmarkt weiterhin in großem Umfang für die restlichen Anbieter in der Welt abgeschottet bleiben würde. Die Gefahr von Effekten aus Handelsumlenkungen in den EU-Markt würde dann unverändert weiter bestehen. Daher muss die Europäische Kommission unbeirrt an ihrem Kurs festhalten, endgültige Schutzklauselmaßnahmen im Stahlbereich entsprechend den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) einzuführen. Das wäre kein Protektionismus! Alleiniges Ziel dieser sogenannten Safeguards ist es, Verwerfungen aus den US-Maßnahmen im europäischen Markt einzugrenzen, nicht aber den Handel zu behindern beziehungsweise traditionelle Lieferströme zu erschweren.Safeguards können jedoch, genauso wenig wie Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen, die tiefer liegenden Probleme von Handelskonflikten lösen, da sie immer nur an Symptomen kurieren. Echte Heilung setzt an den Ursachen an: Subventionen und andere Formen staatlicher Unterstützung, die den Wettbewerb auf den internationalen Märkten verzerren. Sie haben dazu geführt, dass sich gewaltige Überkapazitäten in der globalen Stahlindustrie und insbesondere in China in Höhe von mehreren hundert Millionen Tonnen herausgebildet und verfestigt haben.Die Strategie der Trump-Administration, auf globale Überkapazitäten und chinesisches Dumping mit Strafzöllen gegen nahezu alle Länder und mutmaßlich auch gegen die Regeln der WTO zu reagieren, ist mehr als fragwürdig. Richtig ist aber, dass die Welthandelsordnung in der gegenwärtigen Verfassung nicht geeignet ist, Fehlentwicklungen in Form von staatlichen Wettbewerbsverzerrungen und Überkapazitäten zu adressieren. Sei es, weil Informationspflichten nicht verbindlich genug sind, Subventionstatbestände nur unvollkommen erfasst werden oder die bestehenden Regeln der WTO einfach nicht dafür gemacht wurden, ein staatskapitalistisches Wirtschaftssystem wie das chinesische Modell zu disziplinieren. Chance auf WTO-ReformDer größte Wert des europäisch-amerikanischen Deals könnte nun darin bestehen, dass die USA gemeinsam mit der EU eine Reform der Organisation anstreben. Bemühungen hierzu bestehen zwar schon länger, waren bislang jedoch nicht erfolgreich. Dies gilt auch für die Arbeit im Rahmen des G 20 Stahlforums, wo zwar am 30. November 2017 – damals noch unter der deutschen Präsidentschaft – explizit vereinbart wurde, marktverzerrende Subventionen in der globalen Stahlindustrie zu identifizieren und schlussendlich abzuschaffen; dieser Prozess hat jedoch in den letzten Monaten deutlich an Fahrt verloren. Auch mit Blick auf die Arbeit in diesem multilateralen Forum könnte sich durch den Trump-Juncker-Deal eine neue Dynamik entfalten. Den Worten müssen hier jedoch möglichst bald Taten folgen.Die Stahlindustrie in Deutschland und Europa hat sich seit jeher für einen regelgebundenen und freien Handel unter dem Dach der Welthandelsorganisation eingesetzt. Besonders in diesen handelspolitisch turbulenten Zeiten ist die Branche auf verbindliche Regeln angewiesen, die einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Würde der von Trump ausgelöste Tumult am Ende zur notwendigen Reform der Welthandelsregeln führen, die ein entschlosseneres Vorgehen gegen Subventionen und andere Verzerrungen ermöglicht, wäre viel gewonnen.—-Hans Jürgen Kerkhoff ist Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Hans Jürgen KerkhoffDie Atempause im USA-EU-Handelskonflikt kann nur ein Anfang sein zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO) und zum Abbau der Stahlüberkapazitäten weltweit.—–