Stahlindustrie investiert in die Zukunft

Branche ist stark bei Innovationen - Vielfältige und enge Verbindungen mit der Wissenschaft - NRW profitiert von gut funktionierenden Wertschöpfungsketten

Stahlindustrie investiert in die Zukunft

Das wirtschaftliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist die starke Industrie. Fast ein Viertel der volkswirtschaftlichen Leistung wird von ihr erbracht. Eine Struktur der Wirtschaft wie in Deutschland galt im Ausland und vor allem in den angelsächsischen Ländern lange Zeit als “old fashioned”. Diese Einstellung hat sich indessen spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 geändert. Vor allem die stark auf Finanzdienstleistungen fixierten Volkswirtschaften mussten erkennen, dass Deutschland dank einer starken Industrie und deren Erfolgen im Export relativ glimpflich durch die Krisenjahre gekommen ist und wirtschaftlich schnell wieder reüssierte.Eine ganz entscheidende Rolle spielt die Industrie in Nordrhein-Westfalen (NRW). NRW ist mit einem Umsatz von 340 Mrd. Euro (2013) die stärkste Industrieregion Europas. In keinem anderen Bundesland ist die Bruttowertschöpfung der Industrie mit 28,7 % so hoch wie an Rhein und Ruhr. Unter Beachtung der vielfältigen Verknüpfungen von Industrie und Dienstleistungen – etwa in der Logistik – hängt mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in NRW von der Industrie ab. Auslastung spricht für sichDie Vorzüge der etablierten industriellen Strukturen zeigen sich in vielfältiger Weise. Ein gutes Beispiel ist die Stahlbranche, die für die bedeutenden Industriezweige wie Automobil und Maschinenbau hochwertige Werkstoffe für immer anspruchsvollere Anwendungen liefert. Trotz starker Belastung durch hohe Energiekosten schnitten die deutschen Stahlunternehmen daher im vergangenen Jahr besser ab als die europäische Konkurrenz. Waren die Kapazitäten der Hütten- und Walzwerke in Deutschland zu 86 % ausgelastet, lag der Auslastungsgrad im EU-Durchschnitt bei lediglich 78 %, weltweit gar nur bei knapp 73 %.Deutschland ist der siebtgrößte Stahlhersteller der Welt und der größte innerhalb der Europäischen Union. Die deutsche Stahlindustrie erwirtschaftet einen Anteil von rund 30 % an der Wertschöpfung der Branche in Europa. Auf Nordrhein-Westfalen entfallen insgesamt etwa 40 % der bundesdeutschen Stahlerzeugung. Mit einer Rohstahlproduktion von knapp 15 Mill. Tonnen ist Duisburg der bedeutendste Stahlstandort in Deutschland und Europa. Duisburg ist vorneDie deutsche Stahlindustrie investiert Jahr für Jahr etwa 1,2 Mrd. Euro in die Flexibilität und Effizienz ihrer Anlagen und sichert sich damit ihre Vorteile im internationalen Wettbewerb. Speziell in den Stahlstandort Duisburg sind seit 2010 rund 1 Mrd. Euro geflossen. Spektakulär war die Neuzustellung (Modernisierung) des Hochofens 2 von ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg-Schwelgern, dem größten dieser Aggregate in Europa, mit Kosten von 200 Mill. Euro. In Spitzenzeiten arbeiteten rund 1 100 Menschen auf der Baustelle. Insgesamt hat ThyssenKrupp seit 2013 Investitionsprojekte in Duisburg im Umfang von 600 Mill. Euro gestartet. Die Hüttenwerke Krupp Mannesmann erweiterten mit Kosten von 400 Mill. Euro ihre Kokerei in Duisburg, ArcelorMittal investierte 135 Mill. Euro in eine neue Drahtstraße. Den drei Unternehmen ist eines gemein: Sie sehen die Stahlerzeugung als Wurzel eines Wertschöpfungsbaumes und investieren demzufolge alle in den wichtigen Standort Duisburg, um im internationalen Konkurrenzkampf ihre Positionen zu behaupten.Aus Nordrhein-Westfalen werden insgesamt knapp 7 Mill. Tonnen Walzstahlerzeugnisse in die ganze Welt exportiert. Das ist ein Drittel der gesamten Walzstahlausfuhren Deutschlands. Die NRW-Ausfuhren haben einen Wert von 6 Mrd. Euro. Das entspricht 39 % des Gesamtwertes der deutschen Walzstahlexporte. NRW ist damit bei Premium-Güten überproportional vertreten. Das Land profitiert mehr noch als andere Regionen von gut funktionierenden Wertschöpfungsketten zwischen Großindustrie, mittelständischen Unternehmen und kleinen Betrieben sowie zwischen Grundstoffindustrie, Weiterverarbeitung und Endprodukten. 1 000 Patente jährlichSehr wichtig sind auch die vielfältigen und engen Verbindungen von Wirtschaft und Wissenschaft, wie zum Beispiel mit der RWTH Aachen oder dem Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, um nur zwei bedeutende Einrichtungen zu nennen. Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Universitäten und sonstigen Forschungseinrichtungen ermöglicht eine stärkere Orientierung an den Anforderungen der Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte. Jährlich werden deutschen Unternehmen rund 1 000 stahlbezogene Patente erteilt – etwa ein Drittel der Anzahl weltweit. Von den aktuell rund 2 500 Stahlsorten wurde mehr als ein Viertel in den letzten fünf Jahren neu- oder weiterentwickelt. Diese praxisbezogene Innovationsstärke verschafft der deutschen Stahlindustrie international einen Wettbewerbsvorsprung.Wie gut die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft funktioniert, zeigt sich am Projekt “Carbon2Chem”. ThyssenKrupp arbeitet hier mit verschiedenen Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen aus der Chemie- und der Elektroindustrie und der Energiewirtschaft an einer weitgehend klimaneutralen Stahlproduktion. Hüttengase aus den Stahlwerken in Duisburg, einschließlich des darin enthaltenen CO2, sollen in Zukunft als Ausgangsstoff für die Chemieproduktion genutzt werden. Vorstudien haben gezeigt, dass die Gase ausreichend Stickstoff und Wasserstoff enthalten, um daraus Ammoniak als Vorprodukt für Kunstdünger herzustellen. Ein Teil der bei der Stahlproduktion frei werdenden Hüttengase könnte danach umgewandelt werden.Die Stahlwirtschaft zeigt nicht zuletzt mit solchen Projekten, dass ihr Innovationsmotor auf hohen Touren läuft. Auch wenn die Branche von der Historie her eine Old Economy ist, spielen Neuentwicklungen bei Werkstoffen und die gemeinsame Entwicklungsarbeit mit dem Kunden für die Wettbewerbsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Deutschland und insbesondere NRW profitieren hier von der Werkstoff-Kompetenz, wie sie exemplarisch ThyssenKrupp vorzuweisen hat. Der Konzern treibt im engen Verbund zwischen seinen verschiedenen Geschäftseinheiten die Entwicklung von Hochleistungsmaterialien voran. Durch die Kombination von karbonfaserverstärkten Kunststoffen und innovativen Stahllösungen lassen sich etwa im Fahrzeug-, Flugzeug- oder Schiffsbau erhebliche Gewichtsvorteile erzielen. Nötige Energie selbst erzeugtDie Stärke der deutschen Wirtschaft liegt nicht nur in den häufig zitierten Zukunftsbranchen wie der Informations- oder Biotechnologie. Schlüsselbranchen sind vielmehr die Autoindustrie, die Metallwaren oder der Maschinen- und Anlagenbau. Sie sind im internationalen Wettbewerb sehr erfolgreich und stehen für annähernd drei Viertel des deutschen Exportüberschusses. Diese Branchen benötigen samt und sonders Stahl und seine innovativen Anwendungen. Der Werkstoff ist aus einer modernen Industriegesellschaft nicht wegzudenken. Nicht zuletzt hängen an den stahlintensiven Wirtschaftszweigen in Deutschland auch 3,5 Millionen Arbeitsplätze. Gute ÖkobilanzBei einer ganzheitlichen Betrachtung muss auch erwähnt werden, dass zur Herstellung von Stahl viel Energie benötigt wird. In weiten Teilen erzeugt die Stahlindustrie ihren Strom aber seit über 100 Jahren ökologisch sinnvoll selbst aus energiehaltigen Gasen, die während der Produktion entstehen. Stahl ist zudem äußerst langlebig, kann eingeschmolzen und beliebig oft wieder verwendet werden. Auch ist der Werkstoff zur Herstellung von Windrädern und für Turbinen zur Stromerzeugung unerlässlich oder hilft im Fahrzeug-Leichtbau, den Kraftstoff-Verbrauch zu reduzieren. Und auch bei einer Betrachtung der Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg (Rohstoff, Produktion, Nutzung, Recycling) bietet Stahl gegenüber anderen Werkstoffen klare Vorteile. Damit ist Stahl nicht nur für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung, sondern weist auch eine vorteilhafte Öko- und Klimabilanz auf. Aus diesem Grund werden auch künftig große Teile der industriellen Wertschöpfung in Deutschland auf dem Werkstoff Stahl ruhen.—Andreas J. Goss, Vorsitzender des Vorstands von ThyssenKrupp Steel Europe